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Die neue industrielle Evolution

Fünf Schritte sind bei der Umsetzung einer CO2-freien Produktion Erfolg versprechend:

Schritt 3: Prozessumstellung

In vielen Fällen können Prozesse auf weniger hohe Temperaturanforderungen, oft verbunden mit einem geringeren Energiebedarf, umgestellt werden. Solche Prozessumstellungen können sich lohnen, aber auch teuer und risikobehaftet sein. Entsprechend ist hier eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Begründungen wie: «wir lassen es so – so hat es immer funktioniert» oder «lass die Finger von den Einstellungen, das habe ich von meinem Vorgänger so übernommen» sind häufige und nachvollziehbare Reaktionen. In die Black-Boxen der Prozesse hineinschauen und dafür das nötige interne oder externe Fachwissen einsetzen, gewisse Risikobereitschaft und -fähigkeit, viel Innovation, Forschung und Entwicklung spielen für emissionsreduzierende Prozessumstellungen eine wichtige Rolle. Möglicherweise braucht es darüber hinaus Instrumente zur Absicherung von Risiken, um die Umsetzung von emissionsreduzierenden Prozessumstellungen anzustossen. Dies könnten Risikogarantien für grosse Technologiesprünge sein.

Entwicklung und Anpassungsfähigkeit sind herausragende Eigenschaften der Metalcolor AG in Forel (VD), die zu grossen Teilen mit der Verbesserung der Energieeffizienz zusammenhängt. Metalcolor wurde 1981 gegründet und ist auf das «Coil coating», die kontinuierliche Bandbeschichtung von Aluminium, spezialisiert, das hauptsächlich bei der Herstellung von Lamellenstoren zum Einsatz kommt. «Es ist das wirksamste, sicherste, aber auch umweltverträglichste Verfahren, um hochwertige Farben auf Metalloberflächen anzubringen», erklärt Chemieingenieur Denys Kaba, General Manager der Metalcolor AG.

Die industrielle und kommerzielle Stärke von Metalcolor liegt in der Leistungsfähigkeit ihrer Produktion und im durchdachten Betriebskonzept, deren Kombination kurze Lieferfristen und massgeschneiderte Produkte in einer unbegrenzten Farbauswahl ermöglichen. Zwei Beschichtungsanlagen, von denen eine 2021 mit einem zusätzlichen Beschichtungsabschnitt ausgerüstet werden soll, liefern Chargen von 100 Kilogramm bis mehreren Dutzend Tonnen. Ergänzt werden sie durch zwei Spaltanlagen. Die Jahresproduktion, die zu 93 Prozent in die Europäische Union exportiert wird, ist seit 2004 von 8000 auf 16 000 Tonnen gestiegen. Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses 2015 hat diese Entwicklung kaum behindert.

In der Summe liegt der Erfolg

In dieser Zeit hat Metalcolor es geschafft, seinen Gasverbrauch bei gleichbleibender Produktion um zwei Drittel zu verringern, und zwar durch Erneuerung der Anlagen, Optimierung ihrer Nutzung, durch ständige Verbesserung der Rezepturen und systematische Wärmerückgewinnung. «Wir haben ausserdem die Abläufe in Abstimmung mit unseren Werksarbeitern für eine schlanke Produktion optimiert und so die manuellen Eingriffe, Bewegungsabläufe, Zeitaufwand und Rohmaterialverbrauch verbessert», erklärt Kaba. Auf einer unserer Beschichtungsanlagen wurde beispielsweise ein neues Verfahren eingeführt, mit dem die Neustartzeit der Maschinen beim Übergang zur nächsten Bestellung mit Farbwechsel verringert wird. «Dank dieser Energie- und Zeitgewinne konnten wir, wie mit den übrigen Massnahmen, unseren ökologischen Fussabdruck und gleichzeitig auch unsere Kosten reduzieren. So haben wir 2015 dem Schock standgehalten.»

Ständige interne Verbesserung

Die Verbrennung der Lösungsmittel ist ein Paradebeispiel für die ständige Weiterentwicklung der Verfahren. Nach mehreren Optimierungen wurde die Verbrennungsanlage 2018 durch ein regeneratives Modell ersetzt, das bei geringerem Strom- und Gasverbrauch und tieferem CO2-Ausstoss einen besseren Lösungsmittelabbau ermöglicht. Das Warmwasser aus der ebenfalls verbesserten Wärmerückgewinnung dient der Beheizung der neuen Lager- und Versandhalle, die sich über 2800 Quadratmeter erstreckt, der Produktionshalle und der bisher ölbeheizten Büroräume.

Eine weitere Neuerung ist die digitale Steuerung der Druckluftanlage, die «eine grosse Energieeinsparung» bringt, wie ISO-Koordinatorin Morgane Bourdon erklärt. Und damit sind die Effizienzsteigerungen bei Metalcolor noch längst nicht abgeschlossen. Geplant sind eine 1100 Kilowatt-Peak Photovoltaikanlage auf dem Dach, die Optimierung der Warmluftrückgewinnung in den Öfen, ein zusätzlicher Beschichtungsabschnitt auf den Beschichtungsstrassen und damit weitere Gas- und Stromeinsparungen.

Dämmung – Immer aktuell

Unweit von Forel, in Châtel Saint-Denis (FR), arbeitet Chemieingenieur Jacques Esseiva, der technische Direktor von swisspor Romandie, an einem neuen Projekt zur Erreichung der CO2-Neutralität in den Werken Châtel I und II. Wie in Châtel I, das Dämmstoffe aus expandiertem Polystyrol herstellt, möchte er in Châtel II die Wärmerückgewinnung bei der Produktion der Polyurethan-Isolationsplatten optimieren.

Beim Dämmspezialisten swisspor beginnt Energieeffizienz selbstverständlich mit optimaler Gebäudeisolation und Dächern, die grossflächig mit Photovoltaik-Modulen bedeckt sind. Die Wärmerückgewinnung in den zwei Werken beheizt neben den Hallen und Büros auch die Einfamilienhäuser neben Châtel I. In Châtel II dienen die 12 500 Quadratmeter des Betonbodens zwischen der Produktionshalle im Erdgeschoss und der darüberliegenden Lagerfläche als Wärmespeicher und Puffer bei saisonalen Schwankungen.

Die Einrichtungen werden bei jeder Geräteanpassung systematisch auf beste Energieeffizienz eingestellt. Neue Verfahren liefern ausserdem ebenfalls beeindruckende Ergebnisse. «In Châtel I hat ein Technologiewechsel bei der Verarbeitung von Pentangas eine jährliche Verminderung des Erdgasverbrauchs von 400 000 Kubikmetern gebracht», erklärt Esseiva. Der restliche Gasverbrauch ist heute CO2-neutral zertifiziert.

Wärme vorgelagert nutzen

In der grossen Produktionshalle von Châtel II werden jährlich 2 600 000 Quadratmeter Polyurethan in verschiedenen Dicken hergestellt. Der Prozess beginnt mit einer leicht schaumigen Masse, die bei der Vermengung von Polyalkohol mit einem Isocyanat und der Beigabe eines Treibmittels, hier Pentan, entsteht. Der Schaum härtet innerhalb weniger Sekunden und muss deshalb sehr schnell in Platten abgeformt und anschliessend ober- und unterseitig kaschiert werden. Die Platten werden zuerst in 7.2 Meter lange Stücke geschnitten und durchlaufen danach einen 1.7 Kilometer langen Weg, der zuerst nach oben und schliesslich nach unten zu den Schneide- und Verpackungsanlagen führt. «Auf diesem Weg», erklärt Esseiva, «setzen die Platten nach und nach die Wärme aus der stark exothermen chemischen Reaktion frei. Diese Wärme wird heute in einem Kühlturm gespeichert und für die Raumheizung und Warmwassererzeugung genutzt. Mit einer vorgelagerten Rückgewinnung könnten wir aber den Erdgasverbrauch sogar auf Null senken.» Fortsetzung garantiert…

Andere Geschichte, gleiches Thema

Die Blanchisserie du Léman hat ihren Sitz seit 2011 in der Industriezone von Satigny (GE), wo sie einen Teil einer grossen Halle nutzt. Schon beim Einzug war Energieeffizienz ein wichtiger Aspekt, der mit modernen Einrichtungen und Konzepten umgesetzt wurde.

Auf den ersten Blick wirkt die Wäscherei wie ein riesiger Bienenstock. Unter der LED-Beleuchtung, wo früher 450 Leuchtstoffröhren hingen, wimmelt es nur so. Täglich kommen hier bis zu 20 Tonnen Wäsche und Kleider aus Hotellerie und Gesundheitswesen zusammen. Alles wird sorgfältig sortiert, denn «jedes Wäschelos kann Überraschungen enthalten, seien es Gläser, Besteck oder auch mal einen Fisch!» lacht Direktor Denis Mauvais. Ein Teil der Wäsche wird den kleinen Waschmaschinen für Spezialitäten wie besondere Hygienebedürfnisse zugeführt, der Rest gelangt in einen der zwei grossen Waschtunnels, die sich über rund 15 Meter erstrecken. Die Wäsche wird in 50-Kilo-Säcke geladen, über ein schwebendes Schienensystem transportiert und fällt dann Sack für Sack in das erste der dreizehn Module des Waschtunnels. Jedes Los wird über eine riesige Schraube im Innern des Waschtunnels von einem Modul zum andern befördert. Die Anlage verarbeitet stündlich 1200 Kilogramm Wäsche. Alles ist bis ins letzte Detail softwaregesteuert: Kundenzuweisung, Wäscheart, hochpräzise Dosierung der chemischen Zusätze.

Die Einhaltung einiger weniger Regeln garantiert einen ebenso sparsamen Wasserverbrauch. Jede Maschine läuft voll beladen, sauberes Wasser wird nur wo nötig eingesetzt und das Spülwasser wird für die Vorwäsche ein weiteres Mal verwendet. Auch die Warmwasserproduktion wird streng kontrolliert. Über einen Wärmetauscher heizt das Abwasser aus den Waschtunnels das einlaufende Frischwasser vor. «Die Blanchisserie du Léman verbraucht durchschnittlich 600 Kubikmeter Wasser pro Woche fürs Waschen, Bügeln und Falten von 80 bis 100 Tonnen Wäsche. Das entspricht einem Verbrauch von rund 6.5 Liter Wasser pro Kilogramm Wäsche, zwei- bis dreimal weniger als bei haushaltsüblichen Geräten», erklärt Mauvais.

Einer der ersten und wichtigsten Energieentscheide ist jedoch viel unauffälliger als die Waschtunnels oder die Bildschirme der Steuerzentrale. Verschwunden sind die Hochdruckheizkessel, die früher mit 12 Bar in jeder Grosswäscherei 180 Grad heissen Wasserdampf für das Bügeln und Falten der Wäsche erzeugten. «Wir haben hier fünf kleine Heizkessel, die gleich neben den Mangeln stehen. Sie gewährleisten einen kurzen Tiefdruckkreislauf, in dem die benötigte Wärme mit Thermoöl verteilt wird.»

Die Entscheide der Anfangsphase und die späteren technischen und arbeitsspezifischen Anpassungen, beispielsweise kürzere Aufstart- und Betriebszeiten, haben es ermöglicht, von 2013 bis 2019 «den Erdgas- und Stromverbrauch insgesamt konstant zu halten, während das Wäschevolumen gleichzeitig um satte 44 Prozent zunahm». Im Lauf der Jahre ist also der Energiebedarf für die Verarbeitung eines Kilogramms Wäsche von anfänglich 1.7 auf unter 1.1 Kilowattstunden gesunken. Die positiven Effekte dieser Entwicklung waren Kostenminderungen, ein finanzielles Plus aus der Rückerstattung der CO2-Abgabe und schliesslich eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

Ein guter Grund also, diese Leistung nicht auf die Wäscherei zu beschränken. Mauvais dazu: «Wir setzen alles daran, um Abhol- und Lieferfahrten zu reduzieren, fokussieren uns bewusst auf lokale Kunden und setzen bei der Wahl unserer Lastwagen immer auf die beste Norm.»

Industrielle Arten in der Evolution: ein Nachwort

Unternehmen entwickeln sich als eine Art «Industriespezies» von Generation zu Generation weiter, um den stetigen Wandel ihres wirtschaftlichen und rechtlichen «Ökosystems» und ihrer Umwelt nachzuvollziehen. Dabei verbessern sie ihre «Lebensweise» mit immer neuen Infrastrukturen und Strategien, die den optimalen Einsatz von Energie- und Materialressourcen und den eigentlichen Unternehmenszweck einer effizienten Produktion sicherstellen. Wichtigster Trend ist heute die Aufrüstung der unternehmerischen «Nervensysteme» mit Rechnern, die den Betrieb der verschiedenen Anlagen anhand von Sensoren und technologischen Innovationen optimieren und aufeinander abstimmen. Ein Blick in die Natur zeichnet ein faszinierendes und vielversprechendes Bild: Seit fast vier Milliarden Jahren ist eine ausgewogene, wirksame Entwicklung auch ein Zeichen für Nachhaltigkeit. In industrieller Hinsicht verfügen wir ausserdem über die wertvolle Möglichkeit, diese Entwicklung zu beeinflussen und zu steuern.

«Hochtemperatur-Wärmepumpen liefern Prozesswärme bis 160 Grad Celsius»

Interview mit Dr. sc. techn. Cordin Arpagaus, Fachhochschule OST (ehemals NTB) in Buchs, Institut für Energiesysteme (IES)

Herr Arpagaus, welche Bedeutung haben Wärmepumpen für die Schweizer Industrie?

Wärmepumpen werden heute in neuen Wohn- und Gewerbeliegenschaften sehr oft zur Bereitstellung von Heizwärme und Warmwasser eingesetzt. In der Industrie erzeugen sie Prozesswärme von typischerweise 80 Grad Celsius. Mit der Nutzung industrieller Abwärme können Wärmepumpen aus einer Kilowattstunde elektrischer Energie – idealerweise aus erneuerbaren Quellen – vier Kilowattstunden Prozesswärme bereitstellen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Energieeffizienz und zur CO2 Reduktion durch Austausch von Gas- und Ölheizungen, die heute meistens zur Herstellung von Prozesswärme eingesetzt werden. Viel mehr als die Hälfte des Energiebedarfs der Schweizer Industrie ist Prozesswärme.

In welchen Branchen werden Wärmepumpen bisher eingesetzt?

Ein typisches Anwendungsgebiet ist die Lebensmittelindustrie. Hier kommen vielerorts Kältemaschinen zum Einsatz. Deren Abwärme kann von Wärmepumpen genutzt werden, um Prozesswärme im Bereich von 80 bis 90 Grad Celsius bereitzustellen, wie sie in der Lebensmittelindustrie vorzugsweise gebraucht wird. In der Schweiz werden jedes Jahr rund 200 grosse Wärmepumpen mit über 100 Kilowatt Heizleistung installiert. Sie kommen unter anderem in diversen Industriebranchen und Fernwärmenetzen zum Einsatz. Nicht selten stellt eine Wärmepumpe die Grundlast sicher, während ein Gaskessel die Spitzenlast abdeckt.

Prozesswärme wird in vielen Fällen bei Temperaturen von 100 und mehr Grad benötigt.

Moderne industrielle Hochtemperatur-Wärmepumpen stellen Prozesswärme in Form von heissem Wasser und Dampf auf unterschiedlichen Druckniveaus bis 160 Grad Celsius bereit. Das erweitert die Einsatzmöglichkeiten von Wärmepumpen in der Industrie enorm, insbesondere bei Trocknungsprozessen oder zur Sterilisation und Pasteurisation. Neben der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sind die Papier-, Chemie-, Metall- und Kunststoffindustrie angesprochen, aber auch die Holz- und Futtermittelindustrie.

Wie stellt ein Unternehmen fest, ob der Einsatz einer Wärmepumpe sinnvoll ist?

Am Anfang sollte eine gesamtheitliche thermische Betrachtung aller Heiz- und Kühlprozesse stehen. Ich empfehle dafür eine Pinch-Analyse. Sie zeigt, welche Prozesse sich gut miteinander koppeln lassen und wo Potenzial für Wärmerückgewinnung vorhanden ist. Die Berücksichtigung der Pinch Temperatur ermöglicht eine Auslegung des Wärmepumpen-Systems mit maximaler Effizienz. Der Energieverantwortliche des Unternehmens sollte für eine Pinch-Analyse erfahrene Berater zuziehen und die nötige Zeit dafür vorsehen; sie kann bis zu drei Monate in Anspruch nehmen. Die Analyse wird vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt.

Lohnt sich der Einsatz einer Wärmepumpe finanziell?

Eine industrielle Wärmepumpe ist in der Anschaffung zwar teurer als ein Gaskessel, über den ganzen Lebenszyklus hinweg betrachtet mit langer Betriebszeit fährt der Nutzer unter Berücksichtigung der tieferen Betriebskosten aber oft günstiger. Die Wirtschaftlichkeit einer Wärmepumpe steigt mit tieferem Preisverhältnis von Strom zu Gas und höherer Leistungszahl (COP). Zusätzlich zu berücksichtigen sind Umweltabgaben auf CO2-Emissionen, die insbesondere bei fossilen Brennstoffen zukünftig noch deutlich steigen können.

Literaturhinweis:
Dr. Cordin Arpagaus: Hochtemperatur-Wärmepumpen: Marktübersicht, Stand der Technik und Anwendungspotenziale, ISBN 978-3-8007-4550-0 (Print), 978-3-8007-4551-7 (E-Book), VDE Verlag, 2019.

WEITERE INFORMATIONEN

Das Netzwerk des Lebens floriert und gedeiht seit rund vier Milliarden Jahren und setzt dabei auf einige einfache Grundsätze. Dazu gehört der ständige Materialkreislauf: Was für einen Organismus Abfall ist, dient als Ressource für andere Lebewesen. Wenn sich unsere Industriestruktur daran orientiert, kann sie eigentlich nur noch florieren und gedeihen – oder?

Fünf Schritte sind bei der Umsetzung einer CO2-freien Produktion Erfolg versprechend:

Schritt 2: Übergreifende Nutzungen und Netze

Durch die Wärmerückgewinnung und Abwärmenutzung über einzelne Produktionsstandorte hinaus kann weiteres Potenzial zur Emissionsreduktion erschlossen werden. Durch Nah- und Fernwärmenetze können Wärme und Kälte zwischen verschiedenen Prozessen und Industrien genutzt werden. Die Herausforderungen bei der Umsetzung stellen sich bei der räumlichen Planung der übergreifenden Nutzungen und Netze bzw. der geografischen Distanz der potenziell angeschlossenen Unternehmen. Wärmenetze setzen ausserdem eine langfristige Planung voraus und bedingen hohe Investitionen, welche die Unternehmen der angeschlossenen Standorte teilweise finanziell nicht tragen können. Zudem schaffen übergreifende Nutzungen und Netze Abhängigkeiten zwischen den Betrieben, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen. So kann zum Beispiel ein Pfannenhersteller eine Gemeindeverwaltung, ein Altersheim, Teile der Schulanlagen und private Liegenschaften mit Wärme versorgen. Da nicht nur Partnerunternehmen vorhanden sein müssen, sondern häufig auch eine öffentliche Infrastruktur Voraussetzung ist, sind zudem Rechts- und Planungssicherheit sowie ein gutes Einvernehmen mit den Behörden unabdinglich.


Die ersten Zivilisationen erlebten dank der Erfindung der Landwirtschaft einen Aufschwung. Nun, da unsere Gesellschaft ihre Energiemodelle neu erfinden muss, wird die energetische Gegenseitigkeit, die sich zwischen zwei landwirtschaftlichen Gewerben auf dem Land bei Vernier (GE) eingestellt hat, zum Symbol. Dort produziert die Millo & Cie in grossen Gewächshäusern Schnittblumen für den regionalen Markt. «Früher haben wir unsere 12 000 Quadratmeter grossen Gewächshäuser mit Propan beheizt», erinnert sich Charles Millo, dem schon seit jeher eine andere, erneuerbare, lokale Energiequelle vorschwebte. Zusammen mit dem Landwirtschaftsbetrieb seines Nachbarn Marc Zeller hat er daher beschlossen, das fossile Gas durch Biogas zu ersetzen: In einer grossen Kompostieranlage werden dem Mist und anderen organischen Abfällen Bakterien zugegeben, die beim Abbauprozess Methan freisetzen, mit dem in einer Wärme-Kraft-Kopplungsanlage Wärme und Strom generiert werden. «Seit 2012 produzieren wir Biogas aus den vergärbaren Abfällen von Marcs Hof sowie von zwei weiteren Landwirtschaftsbetrieben und aus Nahrungsmittelresten aus der Gastronomie.» Die jährlich erzeugten 3,5 Gigawattstunden Strom werden zu einem grossen Teil in das Netz eingespeist, und zwar bei Bedarf, denn die Lagerung von Methan ermöglicht eine flexible Einspeisung. Mit Biogas werden 70 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs der Gewächshäuser mit einer Warmwasserheizung abgedeckt. Im Winter, wenn die Produktion der Schnittblumen auf Hochtouren läuft, wird als Zusatzheizung noch Propan eingesetzt.

«Dank Biogas können wir die Gewächshäuser beheizen, hausgemachten Strom nutzen und unser Einkommen diversifizieren, indem wir unseren Stromüberschuss verkaufen», freut sich Charles Millo. Der Verkauf der Gärreste als Dünger trägt in mehrerlei Hinsicht zum Klimaschutz bei: Er erfolgt lokal, die Produktion ist einfach, die Transportwege sind kurz bis inexistent.

Energie auf dem Land zum Zweiten

Ganz am anderen Ende der Schweiz, in Tägerwilen (TG), arbeiten der Frucht- und Gemüsesafthersteller Biotta AG und der benachbarte Gemüsebetrieb Rathgeb Bio ebenfalls Hand in Hand. Auch sie wollen sich von den fossilen Energieträgern lösen. «Die Sonne gewährleistet den grössten Energieanteil in unseren Gewächshäusern, aber es braucht noch mehr Energie, damit die Kulturen in einer warmen und trockenen Umgebung optimal gedeihen können», erklärt Thomas Meier, Leiter Finanzen bei Rathgeb. Als die Biotta AG ihr Heizsystem erneuern wollte, ist eine Diskussion über die Bedürfnisse der beiden Unternehmen entstanden – Dampf für Biotta und Warmwasser für Rathgeb. Nun nutzen beide Unternehmen gemeinsam eine Heizung, die mit Thurgauer Holzschnitzeln befeuert wird, mit einem Volumen von 5300 Kubikmetern pro Jahr. Das Warmwasser wird über die Fernwärmeleitung in die Speicheranlage von Rathgeb geleitet und der Dampf wird in die Produktionskette von Biotta eingespeist. Alle Produktionsprozesse und die Heizung der Biotta-Gebäude sind nun vollständig CO2-neutral. In den Gewächshäusern von Rathgeb beträgt dieser Grad momentan 75 Prozent, wobei der Gemüsebetrieb ebenfalls eine volle CO2-Neutralität anstrebt. Fortsetzung folgt also…

Noch mehr lokales Holz und Schokolade

Eine weitere Holzschnitzelfeuerung in Courtelary (BE) im Berner Jura hat überraschend gar drei Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Sektoren vernetzt: eine Schreinerei, einen Schokoladenhersteller und ein Zementwerk.

Die Chocolats Camille Bloch SA lässt hinsichtlich erneuerbarer Energien nichts anbrennen. Die Photovoltaikanlagen auf den Dächern decken 10 Prozent des Strombedarfs – der restliche Strom stammt aus zertifizierter Wasserkraft. Auch die Kälte wird hauptsächlich mit Wasserkraft erzeugt, und zwar über die Entnahme von Wasser aus dem nahegelegenen Fluss. Zudem nutzt die auf dem Dach installierte Free Cooling-Anlage die Umgebungstemperatur für die Kälteerzeugung. Die Wärme, die in den Räumlichkeiten und entlang der gesamten Produktionskette verwendet wird, kommt hauptsächlich aus dem Fernwärmenetz der Gemeinde, für das regionales Holz verfeuert wird. Die aus der Durchsetzungskraft eines Unternehmers aus Courtelary entstandene La Praye énergie SA hat nun einen Kunden gewonnen, der zu jeder Jahreszeit ein Grossverbraucher ist. «Unser Heizölverbrauch ist von 230 000 auf 57 000 Liter pro Jahr gesunken – der Ölheizkessel bleibt lediglich zur Sicherheit und zur Unterstützung erhalten», erklärt Jean-Philippe Simon, Leiter Infrastruktur bei Camille Bloch.

Von der Schokolade zum Zement

Aber das war noch nicht alles. Das Netz von Camille Bloch und La Praye énergie hat sich über die Asche auf die Vigier Ciments SA in Péry Reuchenette (BE) ausgedehnt. Olivier Barbery, Direktor des Zementwerks, erläutert: «Für die Zementherstellung wird Kalkstein zu Rohmehl vermahlen, das anschliessend mit 20 Prozent Mergel versetzt wird, bevor alles bei 1450 Grad Celsius im Ofen gebrannt wird. So entsteht der Zementklinker, der dann zu Zement vermahlen wird. Beim Brennen sowohl des Kalkgemischs als auch des Brennstoffs wird CO2 freigesetzt. Da bei der Produktion einer Tonne Klinker 0.72 Tonnen CO2 freigesetzt werden, reduziert sich der CO2-Fussabdruck, je weniger Klinker sich im Zement befindet.»

1995 hat Vigier eine erste Generation von Zementen auf den Markt gebracht, bei denen Klinker und hochwertiger Rohkalkstein vermischt werden: «In einer zufälligen Unterhaltung mit dem Betreiber der Heizungsanlage in Courtelary erklärte dieser, wie die Asche in einer Deponie entsorgt und befeuchtet werden musste, mit einer Tarifierung nach Gewicht. Doch es gibt eine bessere Option: Die Asche kann in das Gemisch für den Klinker integriert werden. Seither verwenden wir die Asche», so Olivier Barbery. Allerdings ärgert sich Barbery darüber, dass die «Normen immer noch zu viel reinen Klinker für Anwendungen vorschreiben, in denen Gemische voll und ganz genügen würden». Die Normen müssen sich also noch weiterentwickeln. Das zeigt, dass Klimaschutz eine kollektive Herausforderung ist.

Seit 1976 optimiert Vigier Ciments so ihre CO2 -Bilanz: Fossile Energieträger werden laufend durch Altholz, Schlamm, Tabakstaub, tierische Fette und Tiermehl oder auch alte Lösungsmittel und Altöl usw. ersetzt. Also durch alles, was andernorts als Abfall anfällt… «Unsere Wärme wird heutzutage zu fast 97 Prozent aus alternativen Brennstoffen gewonnen.» Zusammen mit weiteren umfassenden Massnahmen führen die genannten Massnahmen zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 35 Prozent seit 1990 am Standort, mit einem Ziel von 40 Prozent bis 2021.

Salz produzieren und Shrimps wärmen

Ebenfalls mit Mineralien arbeiten die Schweizer Salinen, die jährlich bis zu 600 000 Tonnen Salz an drei Standorten fördern: Riburg (AG), Schweizerhalle (BL) und Bex (VD). An den Standorten im Aargau und in Baselland befindet sich das Salz in Tiefen von 200 bis 500 Meter. Durch das Zuführen von Frischwasser bildet sich im angebohrten Salzlager die Sole. Nach der Verdampfung des Wassers bleibt das Salz zurück. Die Hälfte dieser Salzproduktion wird als Auftausalz auf den Strassen verwendet, der Rest für die Industrie, für das Vieh sowie – natürlich – als Speisesalz.

Die Verdampfungsprozesse benötigen viel Wärme, die über den freigesetzten Dampf laufend zurückgewonnen wird. Dank einer Vorrichtung, die 1877 von Antoine-Paul Piccard, dem Urgrossonkel von Bertrand Piccard, in Bex eingeführt wurde und die sich seither bewährt hat, wird der Dampf zuerst komprimiert und anschliessend in den Heizkreislauf eines grossen Verdampfers eingespeist. Der Verdampfer in der Riburger Saline ist 30 Meter hoch. Trotz der ständigen Optimierung der Energieeffizienz erzeugt die Anlage immer noch grosse Wärmeüberschüsse, «wie ein Fluch», lächelt François Sandoz, der technische Leiter. Dieser Überschuss ist hingegen ein Segen für den «wärmehungrigen» Nachbarn SwissShrimp, den Schweizer Shrimpszüchter, der 2018 seinen Betrieb aufgenommen hat. Die Abwärme der Saline wird über das Fernwärmenetz zur Shrimpsfarm und zu den Becken geleitet, «für eine ökologische und nachhaltige Shrimpsproduktion», verkündet François Sandoz stolz.

Zur Not: Vernetzung mit sich selbst!

Was, wenn man Abwärme hat, aber keinen Nachbarn, der sie nutzen könnte? Ein Unternehmen mit mehreren Gebäuden kann natürlich auch sein eigener Nachbar sein. Genau das hat die B. Braun Medical SA in Crissier (VD) gemacht.

Das deutsche Unternehmen, das vor 180 Jahren gegründet wurde und noch immer im Familienbesitz ist, beschäftigt momentan 63 000 Menschen weltweit, davon 365 in Crissier. Der Waadtländer Standort stellt Volumenersatzlösungen und flexible Weichbeutelsysteme für die parenterale Ernährung und die Infusionstherapie, aber auch Beutel für Lösungen zur urologischen Anwendung her.

Da B. Braun einen ziemlich hohen Wasser- und Energiebedarf aufweist, hat das Unternehmen 2018 beschlossen, die Abwärme etwa vom Spülwasser sowie die Kälte aus seinen Prozessen zurückzugewinnen. «Es musste ein komplexer Luftkreislauf geschaffen werden, um den Untergrund, der bereits mit Leitungen und Verkabelungen zwischen den Gebäuden durchlöchert war, zu umgehen. Aber das hat sich gelohnt!», erklärt Michel Monti Cavalli, Leiter Engineering und Technik. «Das Herzstück der Anlage bildet eine riesige Wärmepumpe der neusten Generation. Sie gewährleistet eine Temperatur von 75 Grad Celsius in unserem Heizkreislauf, indem sie die zurückgewonnene Abwärme mit einer Temperatur von 20 bis 35 Grad Celsius entsprechend umwandelt.» Diese Lösung deckt jetzt bis zu 97 Prozent des Heizbedarfs der Räumlichkeiten ab, ist fast klimaneutral und birgt dank der innovativen Kühlflüssigkeit der Wärmepumpe kein Risiko für die Ozonschicht.

Die B. Braun Medical SA in Crissier hat so ihre Nutzung von fossilen Energieträgern sehr stark gesenkt und damit auch ihre CO2-Emissionen. Die daraus resultierende Rückerstattung der Lenkungsabgabe trägt zur Rentabilität der Anlage bei.

Seit über vier Milliarden Jahren floriert und gedeiht das Netzwerk des Lebens kontinuierlich und basiert auf dem Grundsatz, dass die Abfälle eines Organismus als Ressource für andere Lebewesen dienen. Wenn sich unsere Industriestruktur daran orientiert, kann sie eigentlich nur noch florieren und gedeihen!


«Vernetzt denken, weit über den Tellerrand hinaus»

Im Interview mit Olivier Andres, CEO Steen Sustainable Energy AG, Lausanne, früherer Vorsteher des kantonalen Amts für Energie des Kantons Genf

Eigentlich ist es ganz natürlich, in einem Umfeld, in dem die Energie im Vordergrund steht, von «Netzen» zu sprechen. Und doch ist es höchste Zeit, die Netze im weiteren Sinne zu betrachten – gleichzeitig aber, und das ist kein Widerspruch, viel lokaler. Also nicht nur unter dem Blickwinkel der grossen herkömmlichen Verteilinfrastrukturen.

Herr Andres, wenn man heute über Netze spricht, was muss man sich darunter insbesondere für die Unternehmen vorstellen?

Es ist mittlerweile alltäglich, eine Kehrichtverbrennungsanlage für die Beheizung von Wohnungen mit diesen zu vernetzen. Doch jedes Unternehmen mit thermischen Überschüssen oder verwertbaren Abfällen sollte diese auch an andere Einheiten – Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, Wohngebäude – übertragen können, die sie nutzen können. Das Potenzial in der Schweiz für solche Vernetzungen wird seit 2010¹ analysiert und vom Bund 2018 in einem Bericht² bestätigt. Die Investitionen lassen jedoch auf sich warten, und das Potenzial ist nicht ausgeschöpft. Zu viele Unternehmen sind nur auf sich fokussiert und beharren auf fossilen Energieträgern.

Allerdings sind die Klimakrise und die CO2-Gesetzgebung weniger abstrakt als die Energiefrage. Sie bewirken eine Bewusstwerdung, was wir als Planungsunternehmen spüren. Körperschaften bekräftigen ihr Interesse an einem Raumkonzept, das ihre lokalen Ressourcen in den Bereichen Energie, Materialien und Abfälle abbildet sowie die Möglichkeiten, diese Ressourcen weiterzuentwickeln und gemeinsam zu nutzen. In diesem Konzept haben auch die Unternehmen ihren Platz, und dieser Ressourcenkreislauf kann ihnen zusätzliche Erträge bescheren.

Was bremst das «Vernetzte Denken»?

Es handelt sich nicht um technische Hindernisse. Im digitalen Zeitalter erlauben leistungsstarke Technologien den kollektiven und rationalisierten Einsatz und Austausch von – elektrischen oder thermischen – Energie- und Materialflüssen.

Diese Wende nützt der Umwelt, aber auch der Wirtschaft, wird jedoch von einem wichtigen Akteur nicht ausreichend unterstützt: von der Finanzwelt. Die Finanzierung eines Wohnquartiers ist weniger risikobehaftet als diejenige von Infrastrukturen zur gemeinsamen Nutzung von Abwärme und Abfällen eines Industriegebiets. Denn wenn ein Unternehmen, das ein Glied dieser Kette ist, unerwartet schliesst, kann dieses Netz geschwächt oder gar unterbrochen werden. Der Staat könnte dort eine Rolle spielen: Er könnte Sicherheit schaffen, indem er für die Investitionen der Unternehmen oder externer Investoren bürgt. Und dabei darf man auch ruhig «gross» denken: Je mehr Unternehmen sich in einem Gebiet zusammentun, desto geringer sind die Risiken, weil auch diese gemeinsam getragen werden.

Wie sieht es mit Hindernissen aus, bei dem man auch als Netz einstufen könnte – D.h. bei Legislativbeschlüssen und der administrativen Prüfung von Projekten?

Auf politischer Ebene wurde mir schon häufig erklärt, dass ein Staat nicht wie ein Unternehmen geführt werde und dass Entscheidungen und Umsetzungen wegen politischer Machtwechsel mehr Zeit benötigten. Doch bei der Gesundheitskrise 2020 wurde rasch gehandelt, mit Mitteln, die auch in der Klimakrise ein Eingreifen ermöglichen würden. Der Klimawandel wird sich allerdings wesentlich stärker, dafür aber langfristiger, auswirken – und wird doch auf die leichte Schulter genommen.

Die administrative Prüfung von Projekten besteht aus einer Reihe von kleinen Entscheidungen, die den Umfang und das öffentliche Interesse dieser Projekte verschleiern. Klar ist, dass eine erneuerbare Energie, die aus lokalen Abfällen erzeugt und somit klimaschonend ist, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Für diesen Schritt braucht es aber ein langes und fragmentiertes Verfahren – mit vielen Beschwerden und Überarbeitungen. Wenn man sich einen umfassenden, flexiblen Übergang wünscht, gilt es, ein Entscheidungsnetz auf die Beine zu stellen, das selbst auch umfassend und flexibel ist.

Erwähnte Quellen:
¹«Fernwärme Schweiz – VFS-Strategie», Weissbuch des Verbands Fernwärme Schweiz (VFS), Planungsbüro Eicher + Pauli, 2014.
²«Leitfaden Fernwärme/Fernkälte, Schlussbericht», energieschweiz, 2018. Beide Unterlagen stehen auf www.fernwaerme-schweiz.ch zur Verfügung.

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