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Webinar «EnAW – Roadmap zur Dekarbonisierung»

In der Webinar-Reihe «Nachhaltigkeit, Energie & Umwelt» von Swissmem wird am 7. September 2022 die «Roadmap zur Dekarbonisierung» vorgestellt: Dabei werden Knacknüsse beleuchtet und auf Praxisbeispiele eingegangen. Ferner wir aufgezeigt, warum gerade die EnAW-Mitglieder prädestiniert sind, ihre Klimaschutzanstrengungen mit einer Dekarbonisierungsstrategie zu erweitern. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

Weitere Informationen

Die natürli zürioberland ag strebt eine langfristig CO2-neutrale Produktion an. Gemeinsam mit der EnAW erarbeitet die Käseproduzentin und -vertreiberin deshalb eine Roadmap zur Dekarbonisierung.

Nicht nur der Käse braucht seine Zeit, bis er reif ist: Für die Dekarbonisierung auf Netto-Null braucht es eine gute Begleitung und eine langfristige Herangehensweise.

Im Käsekeller lagert und pflegt die natürli zürioberland ag verschiedene Käsespezialitäten aus der Region.

Ein hoher Wärmebedarf besteht beim Pasteurisieren, Thermisieren und Reinigen.

Intensiver Austausch: Bei der Bestandesaufnahme arbeiten der EnAW-Berater, der Roadmap-Experte und die natürli eng zusammen.

Die Produktequalität hat stets oberste Priorität.

Die Weichen richtig stellen: Für eine vollständige Dekarbonisierung müssen auch Prozess- und Technologieveränderungen in Betracht gezogen werden.

Die alte, umfunktionierte Militärhalle direkt neben dem Bahnhof Saland im Zürcher Tösstal wirkt von aussen unscheinbar. Doch was sich drinnen verbirgt, lässt «Käseherzen» höherschlagen: Rund 200 Tonnen Käse reifen im Tonsteingewölbekeller der natürli zürioberland ag, die hauptsächlich als Vertriebsnetz ausgewählter Käsespezialitäten und Milchprodukte agiert. Damit sichert natürli seit 26 Jahren die Existenz der Kleinkäsereien im Zürcher Oberland und pflegt die vielseitige regionale Käsekultur. Seit 2014 produziert natürli am Hauptsitz in Saland auch selbst Milchprodukte. 2018 kam die Produktion von Hüttenkäse dazu. Damit einhergegangen ist ein erhöhter Energiebedarf, denn die Produktion. von Hüttenkäse und Milchprodukten ist energieintensiv.

Fernziel Netto-Null

«Insbesondere beim Pasteurisieren, Thermisieren und Reinigen haben wir einen hohen Wärmebedarf, unter anderem, um die Hygienevorschriften in der Produktionskette einzuhalten», weiss Michael Ates. Er ist seit diesem Jahr als Leiter Facility-Management tätig und für das Gebäude und sämtliche technischen Anlagen zuständig. Bei der Herstellung diverser Milchprodukte wird die Milch kurzzeitig erwärmt, keimfrei und damit haltbar gemacht – also pasteurisiert. «Dafür brauchen wir Temperaturen von 73 bis 105 Grad Celsius», konkretisiert Ates. In der Hüttenkäseproduktion werden ungefähr 60 Grad Celsius benötigt, um den Magermilchbruch zu temperieren, damit er dick wird. Zudem müssen die Maschinen nach jedem Gebrauch sterilisiert und das Gebäude beheizt werden. Für das Sterilisieren wird Dampf benötigt. Auch das Wärmenetz ist derzeit auf Dampf ausgelegt. Erzeugt wird die Prozesswärme heute deshalb über einen mit Heizöl betriebenen Dampfkessel.

Auch wenn die meisten Temperaturen mit rund 70 Grad Celsius nicht sonderlich hoch seien, «haben wir einen monatlichen Heizölverbrauch von rund 4000 Litern», weiss Ates. Diese Zahl ist der natürli zürioberland ag ein Dorn im Auge: «Als Lebensmittelunternehmen mit regionaler Verankerung gehört Nachhaltigkeit zu unserer Firmen-DNA», sagt er. «Es ist für uns selbstverständlich, dass wir auch energetisch nachhaltig sein wollen.» Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat sich natürli das Ziel einer langfristig CO2-neutralen Produktion gesetzt.

Roadmap zur Dekarbonisierung

«Damit wir den Weg zu Netto-Null klug angehen können, sind wir angewiesen auf Expertise und eine sorgsame Planung», sagt Ates. Der Leiter Technik, Gino Barille, stimmt seinem Arbeitskollegen zu: «Eine gute Begleitung ist für uns zentral. Mit der EnAW haben wir einen verlässlichen Partner, um einen machbaren und bezahlbaren Plan zu erarbeiten», so Barille. Am Beginn der Zusammenarbeit mit der EnAW stand die Frage nach einem Wärmeverbund mit der Holzheizzentrale beim benachbarten Holzbauunternehmen, erinnert sich der EnAW-Berater Stefan Eggimann. «Das ist eigentlich eine sinnvolle Massnahme», sagt er. Allerdings stellte man bei natürli rasch fest, dass die technischen Voraussetzungen für eine Integration der Prozesswärme noch nicht gegeben sind. Mit einem Fernwärmeanschluss hätte natürli somit lediglich die Büroarbeitsplätze erneuerbar beheizen können, nicht aber die Produktionsprozesse.

Das Ziel einer CO2-neutralen Produktion muss in Saland also anders angegangen werden. Dafür erarbeitet die Firma im Rahmen eines Pilotprojekts gemeinsam mit ihrem EnAW-Berater Stefan Eggimann und dem Roadmap-Experten Roman Bader eine Roadmap zur Dekarbonisierung.

Nachhaltigkeit gehört zu unserer Firmen-DNA.

Michael Ates, Leiter Facility-Management

Umsetzbare Gesamtlösung bis 2050

Eine Roadmap ist eine langfristige Planung, die dem Unternehmen Wege zu Netto-Null bis 2050 unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeiten aufzeigen soll. «Als Berater müssen wir die Bedürfnisse des Unternehmens verstehen und auf sie eingehen können», sind sich Eggimann und Bader einig. Potenziale und Risiken müssen richtig eingeschätzt werden. «Die Herausforderung liegt darin, alle relevanten technischen, wirtschaftlichen und weiteren Aspekte zu erfassen und zu einer Gesamtlösung zu entwickeln, die das Unter nehmen umsetzen kann», so Bader. Der Prozess zur Erstellung einer Roadmap folgt dabei einem typischen Ablauf (vgl. Grafik unter «Weitere Informationen»). Dabei sei das Bekenntnis zum Fernziel Netto-Null der erste wichtige Schritt, so Eggimann: «Es muss die Bereitschaft da sein, den Weg der Dekarbonisierung konsequent zu verfolgen.» Denn eine Roadmap zur Dekarbonisierung führt weiter als eine Zielvereinbarung, sowohl was den Zeithorizont an geht als auch was die Absenkung der Treibhausgasemissionen betrifft.

Aller Anfang ist eine Bestandesaufnahme

In einem ersten Schritt wird bei der Roadmap eine Bestandesaufnahme gemacht. Was sich nach einer simplen Momentaufnahme anhört, ist in Tat und Wahrheit eine umfangreiche Abklärung. «Wir müssen ganz genau verstehen, wie die Produktionsprozesse zusammenhängen», so Eggimann. Eine einzelne Begehung reiche dabei nicht aus, vielmehr bedinge es einen intensiven Austausch. Der EnAW-Berater und der Roadmap-Experte stehen deshalb in engem Kontakt mit natürli. «Wir mussten sogar ehemalige Mitarbeitende einbeziehen», sagt Bader. Und obwohl der Prozess noch in Gang ist, kann bereits eine erste Zwischenbilanz gezogen werden: «Da die Prozesswärme bislang über den Dampfkessel produziert wird, müssen wir gemeinsam mit natürli nach Lösungen suchen, wie diese künftig ohne den bestehenden fossilen Dampferzeuger bereitgestellt werden kann», sagt Eggimann. «Dabei stellte sich rasch heraus, dass ein hohes Abwärmepotenzial vorhanden ist, das mit Wärmepumpen nutzbar gemacht werden könnte», ergänzt Bader. Das sei in Betrieben wie Molkereien typisch, da einerseits Prozesswärme für die Produktion gebraucht wird und andererseits die Produkte gekühlt werden müssen. Letzteres geschieht bei natürli im Tonsteingewölbekeller, der nach dem Raum-im-Raum-Prinzip funktioniert und von Ates auch liebevoll «Käsetresor» genannt wird. «Lagert der Käse im Keller, braucht er vor allem Zeit und Liebe», schmunzelt Ates.

Geschickt kombinieren

Was ebenfalls Zeit braucht, ist die Dekarbonisierung auf Netto-Null. Für die Erstellung einer Roadmap zur Dekarbonisierung hat die EnAW eigens eine Methodik und darauf zugeschnittene Arbeitsmittel entwickelt. Denn eine Dekarbonisierung auf Netto-Null erfordert eine langfristige Herangehensweise: «Wir müssen uns überlegen, wie wir in 10, 20 und 30 Jahren in einer zunehmend fossilfreien Welt unsere Prozesse effizient und kostengünstig mit Energie versorgen werden», so Bader. Um Wege zu Netto-Null aufzuzeigen, werden alle der möglichen Massnahmenbereiche zur Dekarbonisierung in Betracht gezogen (vgl. Grafik unter «Weitere Informationen»). Dabei wird auch nach möglichen Prozess- und Technologieveränderungen Ausschau gehalten. Selbst die einzelnen Produkte werden unter die Lupe genommen. «Produktionsanlagen haben oft Lebenszyklen von 20 Jahren und mehr», erklärt Bader. «Um bis Mitte dieses Jahrhunderts vollständig zu dekarbonisieren, müssen bei Ersatzbeschaffungen bereits heute die Weichen richtig gestellt werden.»

Aber auch einfachere, kurz- bis mittelfristig umsetzbare Effizienzmassnahmen wie die Isolierung von Zuleitungen oder die Optimierung des Wärmeverteilnetzes werden berücksichtigt. Das zeigt: Eine Roadmap besteht aus einer Kombination von aufeinander abgestimmten Massnahmen, welche in der Summe kosteneffizient zu Netto-Null führen.

Technisch und wirtschaftlich machbar

Gerade bei längerfristigen Massnahmen spielt die technische und wirtschaftliche Machbarkeit eine grosse Rolle – so auch bei natürli. Denn auch wenn für die Käseproduzentin und -vertreiberin klar ist, dass am Netto-Null-Ziel kein Weg vorbeiführt, ist die Firma auf Planungssicherheit angewiesen: «Wir müssen unsere Produktequalität garantieren und die finanziellen Investitionen planen können», hält Ates fest. Deshalb ist es wichtig, die technische Komplexität und die Risiken einer Massnahme realistisch einzuschätzen. Bei Veränderungen an den Prozessen hat die Wahrung der Prozess- und Produktequalität sowie die Störungsfreiheit im Betrieb stets oberste Priorität. Bei neuen Energietechnologien muss gewährleistet werden, dass deren Potenzial auch langfristig Bestand hat. Zudem müssen die erforderlichen Temperaturen im Sommer wie im Winter erzeugt werden können. «Der technologische Fortschritt hat somit einen wichtigen Einfluss auf die Roadmap. Wir beobachten und evaluieren die Trends laufend», versichert Eggimann. Auch die wirtschaftliche Machbarkeitsanalyse gehört zum Roadmap-Prozess dazu. «Anhand von Schätzungen zu Kosten und Wirkung können wir die üblichen Wirtschaftlichkeitsparameter berechnen. Daneben können die Massnahmen auch anhand ihrer Treibhausgas-Vermeidungskosten beurteilt werden», sagt Bader. Für natürli ist das ein zentrales Anliegen: «Wir sind froh, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt und wir sichere Investitionen tätigen », so Ates.

Die Bereitschaft muss da sein, den Weg der Dekarbonisierung konsequent zu verfolgen.

Stefan Eggimann, EnAW-Berater

Varianten entwickeln, vergleichen und letztlich umsetzen

So viel ist klar: Bei der Erarbeitung einer Roadmap gibt es oft verschiedene Wege, die zum Ziel führen können. «Es ist daher sinnvoll, mehrere Varianten zu erstellen und diese einander gegenüberzustellen», so Bader. Konkret werden Kosten, Wirkung, Wirtschaftlichkeit sowie Risiken und Chancen und nicht energetische Effekte durch Massnahmen – sogenannte «Multiple Benefits» – verglichen und dadurch die bestmögliche Lösung für jedes Unternehmen individuell eruiert. «Wir entwickeln momentan eine Web-Applikation, mit der wir während der Bestandesaufnahme die relevanten Daten erfassen, visualisieren und Massnahmenlisten erstellen können. Das Tool ist auch eine Berechnungshilfe zur Massnahmenbeurteilung: Es hilft bei der Erstellung und Visualisierung von Roadmap-Pfaden», sagt Bader. Das erlaube, Varianten mit unterschiedlichen Ambitionslevels aufzuzeigen und zu vergleichen.

Sobald der Entscheid für eine Umsetzungsvariante gefallen ist, steht der Umsetzung der Roadmap nichts mehr im Weg. Und auch dabei bleiben die EnAW-Berater gerne involviert: «Bei der Umsetzung stehen wir beratend zur Seite», sagt Eggimann. Er lässt durchblicken, dass weitere EnAW-Dienstleistungen geplant sind, die die Umsetzungsphase optimal ergänzen werden. Bis es bei natürli so weit ist, stehen noch einige Arbeitsschritte an – Fortsetzung garantiert.

Herr Heller, Natürli setzt auf Genuss mit Herkunft. Was heisst das?

Wir wollen das Original, das Herkömmliche bewahren und den kleinen Käsereien und deren Handwerk Perspektiven bieten. Dabei setzen wir stark auf Regionalität und streben möglichst kurze Wege an: Wir kennen unsere Milchlieferanten. Wir wissen, wo unsere Produkte herkommen. Unser Credo ist, alles so natürlich zu belassen wie es nur geht. Gleichzeitig fördern wir Innovation.

Inwiefern?

Indem wir mit traditionellen Verfahren und Rezepturen neue Produkte auf den Markt bringen. Ein Beispiel ist der Cheebab, der erste vegetarische Kebab auf Käsebasis. Unsere Käsehäuser in Lebensmittelläden, die sogenannten Humidore, sind ein weiteres Beispiel. So können wir den Käsekeller, der eine Hygienezone sein muss, für unsere Kunden öffnen. Näher an der Kundschaft reift kein Käse. Selbst in der Stadt schaffen wir so ein möglichst authentisches Käseerlebnis. Die Resonanz ist grossartig.

Sie haben sich zum Fernziel Netto-Null bekannt. Woher kommt diese Motivation?

Es passt zur Unternehmensphilosophie, die wir seit der Gründung durch Fredy Bieri vor über 26 Jahren leben. Wir setzen auf eine nachhaltige Tierhaltung, einen nachhaltigen Umgang mit unseren Partnern und mit der Umwelt. Diese Überzeugung ist bei allen Mitarbeitenden spürbar.

Was brauchen Sie, um das Ziel zu einer CO₂-neutralen Produktion zu erreichen?

Am liebsten würden wir das Ziel ja kurzfristig erreichen! Aber bei uns spielt die wirtschaftliche Machbarkeit eine zentrale Rolle. Zudem müssen wir die Qualität unserer Produkte sicherstellen. Die Umsetzung der Dekarbonisierung ist für uns deshalb eine Frage der Priorisierung. Und hier verlassen wir uns voll und ganz auf die Expertise von Stefan Eggimann und Roman Bader, damit wir gemeinsam eine machbare Roadmap zur Dekarbonisierung planen und umsetzen können.

WEITERE INFORMATIONEN

Zwei Riesen aus der Baustoffbranche. Zwei Produkte. Zwei energieintensive Prozesse. Eine Vision: Dem Klimaziel «Netto-Null» näherkommen. Mit innovativen Produkten, jahrelanger Forschung und Entwicklung und einer Prise Mut. ZZ Wancor und Holcim Schweiz. Ziegel und Zement – Vorhang auf für Produktanpassungen, die sich eben gerade nicht sehen lassen.

V.l.n.r.: CEO Michael Fritsche und Produktionsleiter Maximilian Ulm im Dachziegelwerk in Laufen der ZZ Wancor AG

Die Ziegel von ZZ Wancor AG bestehen heute aus weniger Material

Cathleen Hoffmann ist seit 2011 in der Produktentwicklung für Holcim tätig.

Das Zementwerk in Siggenthal der Holcim (Schweiz) AG gilt als Vorzeigewerk in Sachen Nachhaltigkeit.

Weitsicht statt Röhrenblick: Die Holcim (Schweiz) AG begegnet Herausforderungen wie Klimaschutz und Ressourcenknappheit mit Innovationen und klugen Lösungen.

Fünf Schritte sind bei der Umsetzung einer CO2-freien Produktion Erfolg versprechend:

Schritt 4: Produktionsumstellung

Produkte können durch andere Produkte ersetzt werden, welche gleiche oder ähnliche Funktionen erfüllen, aber weniger Prozesswärme oder tiefere Temperaturen in der Produktion erfordern. Produktumstellungen werden auch umgesetzt, um die Materialien ressourcenschonender einzusetzen oder um die Materialien am Lebensende der Produkte besser zu trennen und zu rezyklieren.

Wenn die Produktion physikalischen Prozessen oder Rohstoffen unterliegt, die gebrannt werden müssen und dabei CO2 freisetzen, ist Innovationsgeist gefragt. Wer Ziegel und Zement herstellen will, braucht Wärme. Und wer brennt, setzt CO2 frei. Daran führt kein Weg vorbei. Prozesswärme zu reduzieren, um weniger CO2 auszustossen, ist das A und O. Dass man sich aufgrund der naturgegebenen Lage zurücklehnt, ist für die beiden Unternehmen ZZ Wancor und Holcim ausgeschlossen. Ständig wird an der Weiterentwicklung der Produkte gearbeitet. Nicht nur, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen, sondern besonders auch, um dem Ziel «Netto-Null bis 2050» und einer nachhaltigen Zukunft näherzukommen.

Wo Ziegel hergestellt werden, wird getrocknet und gebrannt

ZZ Wancor ist ein Systemanbieter von grobkeramischen Baustoffen und kombiniertem technischem Zubehör für die komplette Gebäudehülle, bestehend aus Dach, Wand und Fassade. Mit zwei Dachziegelwerken, einem Backsteinwerk und über 160 Mitarbeitenden in der Schweiz sorgt das Unternehmen dafür, dass vom Tonabbau in den Gruben über den Herstellungsprozess im Werk bis zum Einsatz der Produkte auf der Baustelle alles reibungslos läuft.

Es ist heiss an diesem Tag im Juli, an dem wir an Tonhalden vorbei ins Sitzungszimmer des Dachziegelwerks in Laufen im Kanton Baselland gelangen. Dort werden wir von CEO Michael Fritsche und Produktionsleiter Maximilian Ulm empfangen. Beide gehören bei ZZ Wancor zum «alten Eisen». Sie kennen Strukturen, Produkte und Prozesse aus dem Effeff. «Es wird noch heisser», warnt Ulm schmunzelnd und spielt auf den Rundgang durch die Produktion an. Denn wo Ziegel hergestellt werden, wird getrocknet und gebrannt. «Es ist ein bisschen wie bei den Cuvé-Weinen», beginnt Ulm uns den Prozess der Herstellung zu erklären. Ein Ziegel besteht aus Ton, einem Naturprodukt. Und wie das in der Natur so ist, kommt er immer in unterschiedlichen Zusammensetzungen vor. Für die Produktion wird aber – wie beim Wein – eine ganz spezifische Zusammensetzung benötigt. Dafür werden die Rohstoffbestandteile zerkleinert, optimal gemischt und angefeuchtet.

Diese Masse gelangt anschliessend in die gewünschte Form, in der sie getrocknet wird. Denn für den folgenden Brennprozess sollen die Ziegel möglichst wenig Feuchtigkeit enthalten. Um die gewünschte chemische Umwandlung im Brennofen zu erreichen, muss das Material auf über 1000 Grad Celsius aufgeheizt werden. Heute funktioniert dieser Prozess mit Gas. «Durch den schrittweisen Umstieg im Brennprozess von Schweröl auf Erdgas werden die CO2-Emissionen um mehr als 25 Prozent reduziert», weiss Ruedi Räss. Der EnAWBerater betreut seit 2009 fast alle Schweizer Ziegeleien bei der Umsetzung der Zielvereinbarung. Bei ZZ Wancor ist jedoch nicht der Brennprozess am energieintensivsten, sondern das vorherige Austreiben des Wassers bei den frisch geformten Ziegeln. Deshalb macht dieses Trocknen 60 Prozent des gesamten Wärmebedarfs der Produktion aus. Um den Verbrauch möglichst tief zu halten, wird die Trocknungsanlage vor allem mit der Abwärme des Brennofens betrieben. Der in den Produktionsstätten verwendete elektrische Strom stammt zu 100 Prozent aus Wasserkraft.

Die Nachhaltigkeitsstrategie von ZZ Wancor basiert auf den drei Schwerpunkten Erhaltung der Biodiversität, Förderung der Kreislaufwirtschaft und Vorantreiben der Dekarbonisierung des Produktportfolios. Da der Ton in unmittelbarer Nähe der Verarbeitungswerke gewonnen wird, können die Transportwege kurz gehalten und die daraus resultierenden CO2-Emissionen minimiert werden. Die Tongruben sind im Sinne der Biodiversität darüber hinaus wertvolle Biotope, die durch nachhaltige Rekultivierungsarbeiten ideale Lebensräume für seltene Pflanzen und Tiere entstehen lassen. So befinden sich in den Tongruben gar Amphibienschutzgebiete von nationaler Bedeutung.

Praktisch naturgegeben

Auch im Steinbruch Gabenchopf der Holcim (Schweiz) AG am Standort Siggenthal kreucht und fleucht es. Sogar Gämsen begegnen uns, als wir das Abbaugebiet von Kalkstein, Ton und Mergel erkunden. Gezeigt wird es uns von Cathleen Hoffmann. Sie ist seit 2011 in der Produktentwicklung für Holcim tätig. Nach zehn Jahren EMPA in der Betontechnologieforschung packte sie die Lust auf die Industrie. «Hier kann ich meinen Beitrag für das nachhaltige Bauen direkt in die Praxis einbringen», sagt sie und taucht mit uns in die energieintensive Zementwelt ein. Für die Produktion von Zement wird eine Gesteinsmischung aus Kalkstein, Ton und Mergel aus dem Steinbruch zu einem homogenen Rohmehl aufbereitet. Das Brennen dieses Rohmehls zu Klinker bei 1450 Grad Celsius ist der zentrale Schritt bei der Zementherstellung. Klinker ist der gebrannte Bestandteil des Zements, der unter Beimengung von Wasser wesentlich für die Aushärtung zuständig ist. Für die Produktion wird das Rohmehl in einem Wärmetauscherturm auf etwa 1000 Grad aufgeheizt und anschliessend in den Drehrohrofen geleitet. Für das Aufheizen wird die Abwärme aus dem heissen Drehrohrofen genutzt, um Energie zu sparen. «Eine sehr gute Massnahme», findet Hoffmann. Aber: «Im Bereich zwischen 600 und 900 Grad findet die sogenannte Entsäuerung des Rohmehls statt. Dabei zersetzt sich das Kalziumkarbonat aus dem Kalkstein und Mergel und es wird Kohlendioxid abgespalten und ausgetrieben. Dieser Vorgang nennt sich auch Kalzinierung. Etwa zwei Drittel der CO2-Gesamtmenge, die bei der Herstellung von Zement freigesetzt wird, fallen hier an. Daran ist leider nichts zu ändern. Aber den Kopf in den Sand stecken? «Sicher nicht!»

«Do your best, compensate the rest»

Bei der Produktepalette von Holcim hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. «Bis 2050 produzieren wir klimaneutrales, rezyklierbares Baumaterial» – lautet eine Schlagzeile in der «NZZ». Ein gewagtes Ziel? «Ich denke, es ist realistisch», so Hoffmann. «Wir stellen uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung.» Herausforderungen wie Klimaschutz und Ressourcenknappheit müsse mit Innovationen und klugen Lösungen begegnet werden. Aber nicht nur. «Als Unternehmen müssen wir auf drei Dimensionen der Nachhaltigkeit eine Antwort finden: Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft.» Wer heute nachhaltig bauen will, wählt Baustoffe, die eine lange Lebensdauer haben, rezyklierbar sind und eine tiefe CO2-Bilanz aufweisen. Zusätzlich müssen die Produkte wettbewerbsfähig sein. Für die Nachhaltigkeit verfolgt Holcim drei Ziele. Das Optimieren der Anlagen wie beispielsweise bei der Abwärmenutzung des Drehrohrofens ist eine davon. Noch wirkungsvoller ist der Einsatz von alternativen Brennstoffen und die Reduktion des Klinkeranteils im Zement. «Das ist uns mit unseren neusten Produkten, dem ressourcenschonenden Zement Susteno und den nachhaltigen Evopact-Betonen gelungen», erklärt Hoffmann stolz.

Optisch ist vieles gleich geblieben, aber
das Innere hat sich verändert.

Michael Fritsche, CEO, ZZ Wancor

Die Produkte funktionieren nach dem Kreislaufprinzip und mit einem reduzierten Klinkeranteil. Es muss also weniger Rohmaterial gebrannt werden, sodass die Freisetzung von CO2 aufgrund des geringeren Bedarfs sowohl an Brennstoff als auch an Rohmaterial reduziert wird. Ersetzt wird ein Teil des Klinkers durch hochwertig aufbereitetes Mischabbruchgranulat, also durch einen mineralischen Bauabfall aus rückgebauten Gebäuden. Auf diese Weise kann Holcim den Baustoffkreislauf vollständig schliessen, da das Material sonst deponiert werden müsste. Der Klinkeranteil von Susteno liegt heute noch bei 55 Prozent, was den CO2-Ausstoss um ganze zehn Prozent reduziert. Anfang des Jahres hat Holcim mit EvopactZero den ersten klimaneutralen Beton der Schweiz lanciert – ein wichtiger Schritt für die Verwirklichung ihrer Vision einer CO2-neutralen Produktion. Trotzdem ist eine Produktion ohne CO2-Emissionen aus prozesstechnischen Gründen, aber auch aufgrund des CO2-haltigen Rohstoffes heute noch nicht möglich. Deswegen kompensiert Holcim mit EvopactZero die restlichen Emissionen. Ganz nach dem Motto «do your best, compensate the rest».

Kreisläufe schliessen – Ohne Recycling geht’s nicht

Mischabbruchmaterial als Klinkerersatz ist nur eines von vielen Produkten, die für die Zementproduktion bei Holcim rezykliert werden. Durch die Verwertung von Plastik wird der Einsatz von traditionellen Brennstoffen reduziert. «Bereits heute können wir mehr als die Hälfte unseres thermischen Energiebedarfs mit Abfallstoffen decken», erklärt Hoffmann. «Wir schliessen damit Kreisläufe und leisten gleichzeitig unseren Beitrag zur Abfallentsorgung in der Schweiz.» Auch bei ZZ Wancor werden Kreisläufe geschlossen. Recycling gehört zum täglichen Geschäft. Solange der Ton für die Herstellung der Ziegel noch nicht gebrannt ist, entstehen keine Abfälle. Das anfallende Material der Rohmasse kann einfach wieder zugegeben werden. Wesentlich ist dabei eine rigorose Qualitätskontrolle. Laufend wird die richtige Feuchte der Rohmasse kontrolliert und fehlerhafte Produkte werden vor dem Brennen ausgesondert, um unnötigen Bruch und somit Energieaufwand zu vermeiden. Denn mit dem Brennen ändert der Ton seine Eigenschaften: Aus einem plastischen Material wird ein spröder Baustoff. Auch die Abfälle, die nach dem Brennen anfallen, können wiederum der Backsteinproduktion beigegeben werden. Vor allem müssen aber die technischen Funktionalitäten der Produkte wie zum Beispiel Undurchlässigkeit und Tragfähigkeit gewährleistet sein.

Weniger Material, weniger Prozessenergie

«Wir haben uns gefragt, wie wir diese technischen Funktionalitäten sicherstellen und trotzdem weniger Energie verbrauchen», erinnert sich Fritsche. Der CEO ist seit 20 Jahren bei ZZ Wancor, hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt und viele Stationen im Unternehmen durchlaufen. «Vor acht Jahren haben wir unsere Dachziegel dann mit einem externen Partner genau untersuchen und Spannungsmodellierungen erstellen lassen.» Auf dieser Basis konnte festgestellt werden, an welchen Stellen des Ziegels die grössten Spannungen herrschen und wo die Materialmenge optimiert werden kann. Denn je zielgenauer die Materialverteilung eines Produkts gesteuert wird, desto weniger muss in der Produktion getrocknet und gebrannt werden. «Das bedarf automatisch weniger Energie», so Fritsche. Mit zehn Prozent weniger Material kommen die neuartigen Ziegel der ZZ Wancor seitdem aus – und das bei absolut gleichbleibender Qualität. «Das sind also auch zehn Prozent weniger CO2, die wir pro Ziegel ausstossen.» Auch Ulm, der die Produktentwicklung verantwortet, ist stolz darauf: «Wir haben auf dieser Basis alle unsere Produkte angepasst.» Ein jahrelanger Prozess, der sich gelohnt hat. «Was bei uns in der Schweiz begonnen hat, wird heute im ganzen Konzern der Wienerberger Gruppe, dem weltgrössten Ziegelproduzenten, umgesetzt.» Auch seitens des Konzerns bekennt man sich ganz klar zum New Green Deal der EU. Als Ergebnis konnten kürzlich in einigen Ländern die ersten klimaneutralen Backsteine präsentiert werden. Diese bauen, ähnlich wie bei Holcim, auf die 3-Säulen-Strategie: «Energie sparen», «Einsatz erneuerbarer Energien» und «Kompensation durch Klimaschutzprojekte.»

Wichtige und richtige Schritte

Vom Kleinen ins Grosse: Auch die Holcim Schweiz ist Teil eines Weltkonzerns. LafargeHolcim wirft auf das «Ursprungsland» Schweiz bei der Nachhaltigkeit ein besonderes Auge. «Wir sind eine Art Vorzeigeland für die ganze Gruppe», erklärt Cathleen Hoffmann. «Wir können hier bei der Produktentwicklung unser Bestes tun, sodass andere Länder von unseren Erfahrungen und den Innovationen profitieren.» Dennoch bleibt die Produktion stark von den vorhandenen Rohstoffen vor Ort abhängig. Jedes Land sei daher gefordert, ein eigenes Rezept zu erfinden. Und das müssen sie auch. Denn die Zementindustrie wird von der Öffentlichkeit in Sachen CO2-Ausstoss mit Argusaugen beobachtet. Das kennt auch Ziegelei CEO Fritsche: «Uns wird nachgesagt, dass wir seit Jahrzehnten den gleichen Stein herstellen. Das stimmt nicht. Optisch ist vieles gleich geblieben, aber das Innere hat sich massiv verändert.» Mit dem neuen ressourcen- und klimaschonenden Beton und den materialreduzierten Ziegeln haben die beiden Unternehmen wichtige Schritte auf dem Weg zu «Netto-Null» unternommen und umgesetzt.


Der konsequente Schritt zum Maximum

Interview mit Dr. Thomas Bürki, Spezialist für Energieeffizienz und Klimaschutz in der Wirtschaft sowie Energie-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik

Sind die Potenziale zur Prozessverbesserung ausgeschöpft, ist die nächste Stufe die Verbesserung des Produkts selbst. Dafür genügt es nicht, nur die Energie zu betrachten. Auch die Materialverbräuche und ihre Auswirkungen auf die Umwelt müssen einbezogen werden. Es geht also um Energie- und Materialeffizienz – oder kurz: um Ressourceneffizienz.

Um ein Produkt auf seine Ressourceneffizienz zu analysieren und Verbesserungen abzuleiten, benötigt man eine Ökobilanz. Sie ist die Analyse aller Umweltauswirkungen aus Energie- und Materialverbräuchen im Lebenszyklus des Produkts. Die Auswirkungen auf alle Umweltkompartimente (Luft, Wasser, Boden) werden quantifiziert und bewertet. Diese Bewertung wird typischerweise mit der Summe der Umweltbelastungspunkte (UBP) je Betrachtungseinheit ausgedrückt. Mit der UBP-Methode werden alle Formen von Umweltbelastungen aus allen Phasen in allen Umweltkompartimenten zu einer Kennzahl zusammengefasst.

Die Ökobilanz gibt Hinweise, wo die grössten Belastungen im Produktionsprozess auftreten: Beim Energieverbrauch? Der Material-, sprich der Rohstoffwahl für das Produkt? Bei Abfällen aller Art? Den Betriebsmitteln? usw. Mit dieser Kenntnis können gezielte Verbesserungen durch Produkteanpassungen vorgenommen werden, die zu geringerem und umweltverträglicherem Ressourcenverbrauch, also zu höherer Ressourceneffizienz führen.

Die Basis für die Ökobilanz ist eine Energie- und Stoffflussanalyse im Betrieb. Eine Energieanalyse ist Bestandteil des standardisierten Vorgehens der EnAW zur Energieeffizienz-Steigerung. Stoffflussanalysen werden grundsätzlich gleich durchgeführt wie Energieanalysen; daher integriert die EnAW auf Wunsch diesen Teil mit der analogen Systematik. So unterstützt die EnAW die Unternehmen bei der Ermittlung des Potenzials zur Ressourceneffizienz-Steigerung und bei der Umsetzung der Massnahmen.

Beispiel 1: Dämmmaterial

Der Hersteller von thermischen Anlagen hat die (doppelwandigen) Komponenten mit einem PU-Schaum gegen Wärmeverluste isoliert. Wegen der unbefriedigenden Ökobilanz wurde eine Alternative gesucht. Sie wurde mit einem aus Fasern hergestellten Dämmmaterial gefunden. Dieses kann auf Mass zugeschnitten und anstelle des PU-Schaums verwendet werden. Die Schnittabfälle werden zerfasert und wieder zu frischem Isoliermaterial verarbeitet.

Beispiel 2: Rostfreier Stahl

Ein Unternehmen hat Bau und Betrieb einer Anlage zur Umwandlung von nicht mehr nutzbarer Abwärme in Strom geplant. Dazu braucht es mehrere Wärmeübertrager, um die Abwärme vom Abgas über eine Zwischenkreislauf auf die TurbinenGenerator-Einheit zu bringen. Aus Bedenken wegen Korrosion (Kondensation von sauren Abgasbestandteilen) und um Wartungsarbeiten zu minimieren, waren die Wärmeübertrager aus rostfreiem Stahl konzipiert. Die Ökobilanz zeigte, dass der rostfreie Stahl den Hauptanteil an der gesamten Umweltbelastung darstellte. Durch eine genaue Analyse der Verhältnisse in den Wärmeübertragern und einer entsprechenden Neukonzeption konnten Teile der Anlage in normalem Stahl («Schwarzstahl») ausgeführt und der Anteil Chromstahl auf ein Minimum reduziert werden. Dadurch wurde die Ökobilanz der Anlage erheblich verbessert.

WEITERE INFORMATIONEN

«Mut zur Veränderung.» Diesen Slogan schreibt sich die Argolite auf die Fahne. Deshalb ist die Willisauer Herstellerin von High Pressure Laminaten (HPL) das erste Unternehmen in der Schweiz, das in Zusammenarbeit mit der EnAW eine radikale Substitution von Heizöl durch Industriepellets vorgenommen hat.

Bereits seit 1961 produziert das Familienunternehmen Argolite AG HPL im Luzerner Willisau. Seit 2019 stösst es dabei aber bedeutend weniger CO₂ aus.

Wer als Geschäftsführer eines Familienunternehmens dem Druck der Erwartungen von Familie, Mitarbeitenden und sich selbst standhalten will, muss etwas Galgenhumor beweisen. Davon besitzt Markus Höchli, Geschäftsführer und Inhaber der Argolite in der dritten Generation, reichlich. «Die dritte Generation ist normalerweise die, die den Laden an die Wand fährt», scherzt er. Davon kann bei der Argolite allerdings keine Rede sein. Die schweizweit einzige Herstellerin von HPL beweist nicht nur in Sachen produktorientiertes Unternehmertum Innovationsgeist, sondern ist auch bei zeitgemässen Produktionsumstellungen eine echte Pionierin.

Der kleine, feine Unterschied

HPL ist ein plattenförmiges, konstruktives, funktionales und sehr widerstandsfähiges Oberflächenmaterial für den horizontalen oder vertikalen Einsatz mit dekorativer Individualität. Ob bunt, gemustert oder mit realen Motiven: Architekten, Schreiner, Planer oder Innendekorateure sind von dem Material gleichermassen begeistert. Die Hochdruckplatten bestehen zu 70 Prozent aus gepressten Papierlagen und zu 30 Prozent aus einem auf Rohöl basierenden Kunstharz. Die Vorteile, die durch diesen Harzzusatz entstehen, lassen sich kaum an zwei Händen abzählen. Dazu gehören die Beständigkeit gegen Chemikalien, der hohe Hygienestandard, der durch eine einfache Reinigung garantiert wird, und die allgemeine Feuchtigkeit- und Schmutzunempfindlichkeit. Kaum verwunderlich ist deshalb, dass zu den Hauptabnehmern auch Spitäler, Heime und Schulen gehören.

Energetische Hochleistungen

Bei der Produktion stellt sich die Argolite einem energieintensiven Prozess und gehört damit zu den kantonalen Grossverbrauchern. Die Papierbögen und das Harz müssen für die Herstellung der Hochdruckplatten in einer Mehretagenpresse unter hohem Druck gepresst werden. Innerhalb der Presse zirkuliert heisses Wasser in Heizplatten, um die benötigte Prozesswärme für die chemischen Reaktionen sicherzustellen. Diese braucht es, damit im Material Molekülketten und damit Kunststoff entsteht. Zu Beginn zumindest. Denn das heisse, gepresste Material muss danach sehr schnell wieder abgekühlt werden. Dabei geht jeweils sehr viel Energie verloren, da es sich hier um einen Temperaturunterschied von fast 110 Grad Celsius handelt. Diese Energie geht fast gänzlich verloren. Eigentlich ein energetisches Desaster. Der Prozess ist aber unumgänglich, denn er hat einen direkten Einfluss auf den Glanzgrad, die Oberflächenruhe und die Spannungsreduktion in der Platte. Andernfalls droht die Qualität der Platten erheblich zu leiden. Was kann also gemacht werden, um die benötigte Prozesswärme trotzdem energieeffizienter zu erreichen? «Industriepellets», lautet hier das Stichwort.

Die EnAW bringt den Stein ins Rollen

Was ursprünglich als Verhandlungen über einen neuen Gasvertrag startete, mündete mit der Beteiligung des EnAW-Beraters Thomas Pesenti in eine grundlegende Umstellung der Argolite im Energiebereich. «Anfangs ging alles sehr schnell. Gegen das Ende brauchten wir aber einen relativ langen Atem», erinnert sich Pesenti. Die ersten Diskussionen zur Umstellung auf Industriepellets fanden bereits im Frühling 2015 statt. Mit dem Systemlieferanten Schmidmeier, der funktionale Lösungen zur CO2-neutralen Versorgung von Produktionsprozessen anbietet, hatte Pesenti ein energetisches Ass im Ärmel, von dem er Geschäftsführer Höchli begeisterte. Die Idee ist simpel: Um langfristig von Heizöl weg- und dem Ziel der Klimaneutralität näherzukommen, sollte der Produktionsprozess zukünftig mit Industriepellets betrieben werden. Dabei handelt es sich um stark gepresste Holzelemente mit einem Durchmesser von sechs bis zwölf Millimetern, die zur Energiegewinnung verbrannt werden. Der Rohstoff Holz ist CO2-neutral. Trotzdem sind Pellets wahre Energiebündel und weisen aufgrund ihrer hohen Dichte einen enormen Energiegehalt auf. Das gewisse Extra dabei? Schmidmeier liefert die Anlage als Ganzes. «Das war einer der Gründe, warum wir uns auf diesen Schritt eingelassen haben», erklärt Höchli. «Und weil wir uns die Verantwortung für dieses Pilotprojekt sozusagen geteilt haben.» Normalerweise braucht man für ein solches Projekt einen Feuerraum, einen Brenner, eine Schnecke, Silos, und vieles mehr. Diese Teile werden im Normalfall von unterschiedlichen Lieferanten gestellt. Schmidmeier hat diese Koordination und damit auch die Verantwortung übernommen. «Bei uns war das getragene Risiko finanzieller Natur», so Höchli. Und das hat sich gelohnt: Die Anlange in Willisau wurde 2019 in Betrieb genommen. Seitdem können jährlich über 1800 Tonnen CO2 eingespart werden.

Kreisläufe schliessen

Und damit nicht genug. Auch für den Schleifstaub, der beim Schleifen der dünnen Laminatrückwände anfällt, hat Argolite mit der neuen Anlage eine energieeffiziente Lösung. Nämlich eine hauseigene Pelletpresse. Früher musste der Schleifstaub kostenintensiv durch einen Drittanbieter entsorgt werden. Die Entsorgungskosten beliefen sich auf 95 Franken pro Tonne – und das bei jährlich rund 280 Tonnen Schleifstaub. «Mit unserer neuen Pelletanlage schlagen wir also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und schliessen unsere Kreisläufe», erklärt Höchli. Denn die eigenen Industrieabfälle werden nun aufgefangen und vor Ort pelletiert. Diese werden im Anschluss in einer kontrollierten Dosis den Holzpellets beigemischt und ebenfalls verbrannt. So kann die verloren gegangene Energie in den Kreislauf reintegriert werden.

Das Ende der Heizölära

Jeder Anflug von Skepsis ist bei Höchli mittlerweile verflogen, denn die Pelletanlage läuft seit bald einem Jahr einwandfrei und auch der Container, der die Reste des Verbrennungsprozesses auffängt, musste in dieser Zeit noch nie gewechselt werden. Zurzeit wird die Pelletanlage allein im Normalbetrieb getestet. Ein separater Prozessschritt, bei dem die in Harz getränkten Papiere einen Trockenkanal durchlaufen, wird noch immer mit Heizöl betrieben. «Sobald wir die Leitungen zur Pelletanlage auch in diesem Bereich verlegt haben, kommen wir komplett ohne Heizöl aus.» Aber nicht nur seitens der Argolite herrscht Zufriedenheit. Auch Pesenti, und mit ihm die EnAW, ist hocherfreut und hofft, mit dem Vorzeigebeispiel Argolite weitere Unternehmen für Industriepellets gewinnen zu können.

WEITERE INFORMATIONEN

Das Netzwerk des Lebens floriert und gedeiht seit rund vier Milliarden Jahren und setzt dabei auf einige einfache Grundsätze. Dazu gehört der ständige Materialkreislauf: Was für einen Organismus Abfall ist, dient als Ressource für andere Lebewesen. Wenn sich unsere Industriestruktur daran orientiert, kann sie eigentlich nur noch florieren und gedeihen – oder?

Fünf Schritte sind bei der Umsetzung einer CO2-freien Produktion Erfolg versprechend:

Schritt 2: Übergreifende Nutzungen und Netze

Durch die Wärmerückgewinnung und Abwärmenutzung über einzelne Produktionsstandorte hinaus kann weiteres Potenzial zur Emissionsreduktion erschlossen werden. Durch Nah- und Fernwärmenetze können Wärme und Kälte zwischen verschiedenen Prozessen und Industrien genutzt werden. Die Herausforderungen bei der Umsetzung stellen sich bei der räumlichen Planung der übergreifenden Nutzungen und Netze bzw. der geografischen Distanz der potenziell angeschlossenen Unternehmen. Wärmenetze setzen ausserdem eine langfristige Planung voraus und bedingen hohe Investitionen, welche die Unternehmen der angeschlossenen Standorte teilweise finanziell nicht tragen können. Zudem schaffen übergreifende Nutzungen und Netze Abhängigkeiten zwischen den Betrieben, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen. So kann zum Beispiel ein Pfannenhersteller eine Gemeindeverwaltung, ein Altersheim, Teile der Schulanlagen und private Liegenschaften mit Wärme versorgen. Da nicht nur Partnerunternehmen vorhanden sein müssen, sondern häufig auch eine öffentliche Infrastruktur Voraussetzung ist, sind zudem Rechts- und Planungssicherheit sowie ein gutes Einvernehmen mit den Behörden unabdinglich.


Die ersten Zivilisationen erlebten dank der Erfindung der Landwirtschaft einen Aufschwung. Nun, da unsere Gesellschaft ihre Energiemodelle neu erfinden muss, wird die energetische Gegenseitigkeit, die sich zwischen zwei landwirtschaftlichen Gewerben auf dem Land bei Vernier (GE) eingestellt hat, zum Symbol. Dort produziert die Millo & Cie in grossen Gewächshäusern Schnittblumen für den regionalen Markt. «Früher haben wir unsere 12 000 Quadratmeter grossen Gewächshäuser mit Propan beheizt», erinnert sich Charles Millo, dem schon seit jeher eine andere, erneuerbare, lokale Energiequelle vorschwebte. Zusammen mit dem Landwirtschaftsbetrieb seines Nachbarn Marc Zeller hat er daher beschlossen, das fossile Gas durch Biogas zu ersetzen: In einer grossen Kompostieranlage werden dem Mist und anderen organischen Abfällen Bakterien zugegeben, die beim Abbauprozess Methan freisetzen, mit dem in einer Wärme-Kraft-Kopplungsanlage Wärme und Strom generiert werden. «Seit 2012 produzieren wir Biogas aus den vergärbaren Abfällen von Marcs Hof sowie von zwei weiteren Landwirtschaftsbetrieben und aus Nahrungsmittelresten aus der Gastronomie.» Die jährlich erzeugten 3,5 Gigawattstunden Strom werden zu einem grossen Teil in das Netz eingespeist, und zwar bei Bedarf, denn die Lagerung von Methan ermöglicht eine flexible Einspeisung. Mit Biogas werden 70 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs der Gewächshäuser mit einer Warmwasserheizung abgedeckt. Im Winter, wenn die Produktion der Schnittblumen auf Hochtouren läuft, wird als Zusatzheizung noch Propan eingesetzt.

«Dank Biogas können wir die Gewächshäuser beheizen, hausgemachten Strom nutzen und unser Einkommen diversifizieren, indem wir unseren Stromüberschuss verkaufen», freut sich Charles Millo. Der Verkauf der Gärreste als Dünger trägt in mehrerlei Hinsicht zum Klimaschutz bei: Er erfolgt lokal, die Produktion ist einfach, die Transportwege sind kurz bis inexistent.

Energie auf dem Land zum Zweiten

Ganz am anderen Ende der Schweiz, in Tägerwilen (TG), arbeiten der Frucht- und Gemüsesafthersteller Biotta AG und der benachbarte Gemüsebetrieb Rathgeb Bio ebenfalls Hand in Hand. Auch sie wollen sich von den fossilen Energieträgern lösen. «Die Sonne gewährleistet den grössten Energieanteil in unseren Gewächshäusern, aber es braucht noch mehr Energie, damit die Kulturen in einer warmen und trockenen Umgebung optimal gedeihen können», erklärt Thomas Meier, Leiter Finanzen bei Rathgeb. Als die Biotta AG ihr Heizsystem erneuern wollte, ist eine Diskussion über die Bedürfnisse der beiden Unternehmen entstanden – Dampf für Biotta und Warmwasser für Rathgeb. Nun nutzen beide Unternehmen gemeinsam eine Heizung, die mit Thurgauer Holzschnitzeln befeuert wird, mit einem Volumen von 5300 Kubikmetern pro Jahr. Das Warmwasser wird über die Fernwärmeleitung in die Speicheranlage von Rathgeb geleitet und der Dampf wird in die Produktionskette von Biotta eingespeist. Alle Produktionsprozesse und die Heizung der Biotta-Gebäude sind nun vollständig CO2-neutral. In den Gewächshäusern von Rathgeb beträgt dieser Grad momentan 75 Prozent, wobei der Gemüsebetrieb ebenfalls eine volle CO2-Neutralität anstrebt. Fortsetzung folgt also…

Noch mehr lokales Holz und Schokolade

Eine weitere Holzschnitzelfeuerung in Courtelary (BE) im Berner Jura hat überraschend gar drei Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Sektoren vernetzt: eine Schreinerei, einen Schokoladenhersteller und ein Zementwerk.

Die Chocolats Camille Bloch SA lässt hinsichtlich erneuerbarer Energien nichts anbrennen. Die Photovoltaikanlagen auf den Dächern decken 10 Prozent des Strombedarfs – der restliche Strom stammt aus zertifizierter Wasserkraft. Auch die Kälte wird hauptsächlich mit Wasserkraft erzeugt, und zwar über die Entnahme von Wasser aus dem nahegelegenen Fluss. Zudem nutzt die auf dem Dach installierte Free Cooling-Anlage die Umgebungstemperatur für die Kälteerzeugung. Die Wärme, die in den Räumlichkeiten und entlang der gesamten Produktionskette verwendet wird, kommt hauptsächlich aus dem Fernwärmenetz der Gemeinde, für das regionales Holz verfeuert wird. Die aus der Durchsetzungskraft eines Unternehmers aus Courtelary entstandene La Praye énergie SA hat nun einen Kunden gewonnen, der zu jeder Jahreszeit ein Grossverbraucher ist. «Unser Heizölverbrauch ist von 230 000 auf 57 000 Liter pro Jahr gesunken – der Ölheizkessel bleibt lediglich zur Sicherheit und zur Unterstützung erhalten», erklärt Jean-Philippe Simon, Leiter Infrastruktur bei Camille Bloch.

Von der Schokolade zum Zement

Aber das war noch nicht alles. Das Netz von Camille Bloch und La Praye énergie hat sich über die Asche auf die Vigier Ciments SA in Péry Reuchenette (BE) ausgedehnt. Olivier Barbery, Direktor des Zementwerks, erläutert: «Für die Zementherstellung wird Kalkstein zu Rohmehl vermahlen, das anschliessend mit 20 Prozent Mergel versetzt wird, bevor alles bei 1450 Grad Celsius im Ofen gebrannt wird. So entsteht der Zementklinker, der dann zu Zement vermahlen wird. Beim Brennen sowohl des Kalkgemischs als auch des Brennstoffs wird CO2 freigesetzt. Da bei der Produktion einer Tonne Klinker 0.72 Tonnen CO2 freigesetzt werden, reduziert sich der CO2-Fussabdruck, je weniger Klinker sich im Zement befindet.»

1995 hat Vigier eine erste Generation von Zementen auf den Markt gebracht, bei denen Klinker und hochwertiger Rohkalkstein vermischt werden: «In einer zufälligen Unterhaltung mit dem Betreiber der Heizungsanlage in Courtelary erklärte dieser, wie die Asche in einer Deponie entsorgt und befeuchtet werden musste, mit einer Tarifierung nach Gewicht. Doch es gibt eine bessere Option: Die Asche kann in das Gemisch für den Klinker integriert werden. Seither verwenden wir die Asche», so Olivier Barbery. Allerdings ärgert sich Barbery darüber, dass die «Normen immer noch zu viel reinen Klinker für Anwendungen vorschreiben, in denen Gemische voll und ganz genügen würden». Die Normen müssen sich also noch weiterentwickeln. Das zeigt, dass Klimaschutz eine kollektive Herausforderung ist.

Seit 1976 optimiert Vigier Ciments so ihre CO2 -Bilanz: Fossile Energieträger werden laufend durch Altholz, Schlamm, Tabakstaub, tierische Fette und Tiermehl oder auch alte Lösungsmittel und Altöl usw. ersetzt. Also durch alles, was andernorts als Abfall anfällt… «Unsere Wärme wird heutzutage zu fast 97 Prozent aus alternativen Brennstoffen gewonnen.» Zusammen mit weiteren umfassenden Massnahmen führen die genannten Massnahmen zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 35 Prozent seit 1990 am Standort, mit einem Ziel von 40 Prozent bis 2021.

Salz produzieren und Shrimps wärmen

Ebenfalls mit Mineralien arbeiten die Schweizer Salinen, die jährlich bis zu 600 000 Tonnen Salz an drei Standorten fördern: Riburg (AG), Schweizerhalle (BL) und Bex (VD). An den Standorten im Aargau und in Baselland befindet sich das Salz in Tiefen von 200 bis 500 Meter. Durch das Zuführen von Frischwasser bildet sich im angebohrten Salzlager die Sole. Nach der Verdampfung des Wassers bleibt das Salz zurück. Die Hälfte dieser Salzproduktion wird als Auftausalz auf den Strassen verwendet, der Rest für die Industrie, für das Vieh sowie – natürlich – als Speisesalz.

Die Verdampfungsprozesse benötigen viel Wärme, die über den freigesetzten Dampf laufend zurückgewonnen wird. Dank einer Vorrichtung, die 1877 von Antoine-Paul Piccard, dem Urgrossonkel von Bertrand Piccard, in Bex eingeführt wurde und die sich seither bewährt hat, wird der Dampf zuerst komprimiert und anschliessend in den Heizkreislauf eines grossen Verdampfers eingespeist. Der Verdampfer in der Riburger Saline ist 30 Meter hoch. Trotz der ständigen Optimierung der Energieeffizienz erzeugt die Anlage immer noch grosse Wärmeüberschüsse, «wie ein Fluch», lächelt François Sandoz, der technische Leiter. Dieser Überschuss ist hingegen ein Segen für den «wärmehungrigen» Nachbarn SwissShrimp, den Schweizer Shrimpszüchter, der 2018 seinen Betrieb aufgenommen hat. Die Abwärme der Saline wird über das Fernwärmenetz zur Shrimpsfarm und zu den Becken geleitet, «für eine ökologische und nachhaltige Shrimpsproduktion», verkündet François Sandoz stolz.

Zur Not: Vernetzung mit sich selbst!

Was, wenn man Abwärme hat, aber keinen Nachbarn, der sie nutzen könnte? Ein Unternehmen mit mehreren Gebäuden kann natürlich auch sein eigener Nachbar sein. Genau das hat die B. Braun Medical SA in Crissier (VD) gemacht.

Das deutsche Unternehmen, das vor 180 Jahren gegründet wurde und noch immer im Familienbesitz ist, beschäftigt momentan 63 000 Menschen weltweit, davon 365 in Crissier. Der Waadtländer Standort stellt Volumenersatzlösungen und flexible Weichbeutelsysteme für die parenterale Ernährung und die Infusionstherapie, aber auch Beutel für Lösungen zur urologischen Anwendung her.

Da B. Braun einen ziemlich hohen Wasser- und Energiebedarf aufweist, hat das Unternehmen 2018 beschlossen, die Abwärme etwa vom Spülwasser sowie die Kälte aus seinen Prozessen zurückzugewinnen. «Es musste ein komplexer Luftkreislauf geschaffen werden, um den Untergrund, der bereits mit Leitungen und Verkabelungen zwischen den Gebäuden durchlöchert war, zu umgehen. Aber das hat sich gelohnt!», erklärt Michel Monti Cavalli, Leiter Engineering und Technik. «Das Herzstück der Anlage bildet eine riesige Wärmepumpe der neusten Generation. Sie gewährleistet eine Temperatur von 75 Grad Celsius in unserem Heizkreislauf, indem sie die zurückgewonnene Abwärme mit einer Temperatur von 20 bis 35 Grad Celsius entsprechend umwandelt.» Diese Lösung deckt jetzt bis zu 97 Prozent des Heizbedarfs der Räumlichkeiten ab, ist fast klimaneutral und birgt dank der innovativen Kühlflüssigkeit der Wärmepumpe kein Risiko für die Ozonschicht.

Die B. Braun Medical SA in Crissier hat so ihre Nutzung von fossilen Energieträgern sehr stark gesenkt und damit auch ihre CO2-Emissionen. Die daraus resultierende Rückerstattung der Lenkungsabgabe trägt zur Rentabilität der Anlage bei.

Seit über vier Milliarden Jahren floriert und gedeiht das Netzwerk des Lebens kontinuierlich und basiert auf dem Grundsatz, dass die Abfälle eines Organismus als Ressource für andere Lebewesen dienen. Wenn sich unsere Industriestruktur daran orientiert, kann sie eigentlich nur noch florieren und gedeihen!


«Vernetzt denken, weit über den Tellerrand hinaus»

Im Interview mit Olivier Andres, CEO Steen Sustainable Energy AG, Lausanne, früherer Vorsteher des kantonalen Amts für Energie des Kantons Genf

Eigentlich ist es ganz natürlich, in einem Umfeld, in dem die Energie im Vordergrund steht, von «Netzen» zu sprechen. Und doch ist es höchste Zeit, die Netze im weiteren Sinne zu betrachten – gleichzeitig aber, und das ist kein Widerspruch, viel lokaler. Also nicht nur unter dem Blickwinkel der grossen herkömmlichen Verteilinfrastrukturen.

Herr Andres, wenn man heute über Netze spricht, was muss man sich darunter insbesondere für die Unternehmen vorstellen?

Es ist mittlerweile alltäglich, eine Kehrichtverbrennungsanlage für die Beheizung von Wohnungen mit diesen zu vernetzen. Doch jedes Unternehmen mit thermischen Überschüssen oder verwertbaren Abfällen sollte diese auch an andere Einheiten – Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, Wohngebäude – übertragen können, die sie nutzen können. Das Potenzial in der Schweiz für solche Vernetzungen wird seit 2010¹ analysiert und vom Bund 2018 in einem Bericht² bestätigt. Die Investitionen lassen jedoch auf sich warten, und das Potenzial ist nicht ausgeschöpft. Zu viele Unternehmen sind nur auf sich fokussiert und beharren auf fossilen Energieträgern.

Allerdings sind die Klimakrise und die CO2-Gesetzgebung weniger abstrakt als die Energiefrage. Sie bewirken eine Bewusstwerdung, was wir als Planungsunternehmen spüren. Körperschaften bekräftigen ihr Interesse an einem Raumkonzept, das ihre lokalen Ressourcen in den Bereichen Energie, Materialien und Abfälle abbildet sowie die Möglichkeiten, diese Ressourcen weiterzuentwickeln und gemeinsam zu nutzen. In diesem Konzept haben auch die Unternehmen ihren Platz, und dieser Ressourcenkreislauf kann ihnen zusätzliche Erträge bescheren.

Was bremst das «Vernetzte Denken»?

Es handelt sich nicht um technische Hindernisse. Im digitalen Zeitalter erlauben leistungsstarke Technologien den kollektiven und rationalisierten Einsatz und Austausch von – elektrischen oder thermischen – Energie- und Materialflüssen.

Diese Wende nützt der Umwelt, aber auch der Wirtschaft, wird jedoch von einem wichtigen Akteur nicht ausreichend unterstützt: von der Finanzwelt. Die Finanzierung eines Wohnquartiers ist weniger risikobehaftet als diejenige von Infrastrukturen zur gemeinsamen Nutzung von Abwärme und Abfällen eines Industriegebiets. Denn wenn ein Unternehmen, das ein Glied dieser Kette ist, unerwartet schliesst, kann dieses Netz geschwächt oder gar unterbrochen werden. Der Staat könnte dort eine Rolle spielen: Er könnte Sicherheit schaffen, indem er für die Investitionen der Unternehmen oder externer Investoren bürgt. Und dabei darf man auch ruhig «gross» denken: Je mehr Unternehmen sich in einem Gebiet zusammentun, desto geringer sind die Risiken, weil auch diese gemeinsam getragen werden.

Wie sieht es mit Hindernissen aus, bei dem man auch als Netz einstufen könnte – D.h. bei Legislativbeschlüssen und der administrativen Prüfung von Projekten?

Auf politischer Ebene wurde mir schon häufig erklärt, dass ein Staat nicht wie ein Unternehmen geführt werde und dass Entscheidungen und Umsetzungen wegen politischer Machtwechsel mehr Zeit benötigten. Doch bei der Gesundheitskrise 2020 wurde rasch gehandelt, mit Mitteln, die auch in der Klimakrise ein Eingreifen ermöglichen würden. Der Klimawandel wird sich allerdings wesentlich stärker, dafür aber langfristiger, auswirken – und wird doch auf die leichte Schulter genommen.

Die administrative Prüfung von Projekten besteht aus einer Reihe von kleinen Entscheidungen, die den Umfang und das öffentliche Interesse dieser Projekte verschleiern. Klar ist, dass eine erneuerbare Energie, die aus lokalen Abfällen erzeugt und somit klimaschonend ist, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Für diesen Schritt braucht es aber ein langes und fragmentiertes Verfahren – mit vielen Beschwerden und Überarbeitungen. Wenn man sich einen umfassenden, flexiblen Übergang wünscht, gilt es, ein Entscheidungsnetz auf die Beine zu stellen, das selbst auch umfassend und flexibel ist.

Erwähnte Quellen:
¹«Fernwärme Schweiz – VFS-Strategie», Weissbuch des Verbands Fernwärme Schweiz (VFS), Planungsbüro Eicher + Pauli, 2014.
²«Leitfaden Fernwärme/Fernkälte, Schlussbericht», energieschweiz, 2018. Beide Unterlagen stehen auf www.fernwaerme-schweiz.ch zur Verfügung.

WEITERE INFORMATIONEN

Dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht zu werden, gestaltet sich in der Praxis nicht immer einfach – besonders nicht, wenn einem die Naturgesetze einen Strich durch die Rechnung machen. Sich davon entmutigen lassen kommt aber für die Baustoffriesin Holcim (Schweiz) AG nicht infrage. Mit viel Geduld, Innovationsgeist und einer guten Prise Mut schafft sie es deshalb, einen gewaltigen Schritt in Richtung «Netto-Null» zu machen.

Im Steinbruch Gabenchopf der Holcim (Schweiz) AG am Standort Siggenthal werden Kalkstein und Mergel abgebaut – die Ausgangsstoffe für den Klinker des ressourcenschonenden Susteno-Zements.

Cathleen Hoffmann ist seit 2011 in der Produktentwicklung für Holcim tätig.

Das Zementwerk in Siggenthal der Holcim (Schweiz) AG gilt als Vorzeigewerk in Sachen Nachhaltigkeit.

Beton – das unscheinbare, aber in unser aller Leben omnipräsente Material erleichtert so vieles. Es ebnet uns wortwörtlich den Weg. Mit Beton gelingt es, robuste und beständige Strassen, Brücken und unzählige weitere unabdingbare Bestandteile unserer Infrastruktur zu erbauen. Beton lässt sich demnach aus der modernen Zivilisation nicht wegdenken und erfüllt in vielerlei Hinsicht seinen Zweck. Aber Beton bietet noch viel mehr als nur Robustheit und Beständigkeit. So stellt er auch bei verschiedensten Projekten seine ästhetische Komponente unter Beweis. Und ist dabei auch richtig ökologisch.

Praktisch naturgegeben

Beton und ökologisch? Richtig gelesen. «Evopact» heisst die neue Betonfamilie der Holcim (Schweiz) AG, die nicht nur ressourcenschonender, sondern teilweise auch gänzlich klimaneutral ist. Der zentrale Bestandteil, der diesen Fortschritt möglich machte, ist der ressourcenschonende Zement, Susteno. Zement funktioniert als Bindemittel im Beton. Für seine Produktion wird eine Gesteinsmischung aus Kalkstein, Ton und Mergel beispielsweise aus dem Steinbruch Gabenchopf in Siggenthal zu einem homogenen Rohmehl aufbereitet. Das Brennen dieses Rohmehls zu Klinker bei 1450 Grad Celsius ist der zentrale Schritt bei der Zementherstellung. Klinker ist der Bestandteil des Zements, der unter Beimengung von Wasser wesentlich für die Festigkeitsentwicklung zuständig ist. Genau dieser essenzielle Bestandteil bereitet emissionstechnisch Kopfschmerzen. Für die Produktion des Klinkers wird das Rohmehl in einem Wärmetauscherturm auf etwa 1000 Grad aufgeheizt und anschliessend in den Drehrohrofen geleitet. Für das Aufheizen wird die Abwärme aus dem heissen Drehrohrofen genutzt, um Energie zu sparen. «Eine sehr gute Massnahme», findet die betriebsinterne Produktingenieurin, Cathleen Hoffmann. Aber: «Im Bereich zwischen 600 und 900 Grad findet die sogenannte Entsäuerung des Rohmehls statt. Dabei zersetzt sich das Kalziumkarbonat aus dem Kalkstein und Mergel und es wird Kohlendioxid abgespalten und ausgetrieben. Dieser Vorgang nennt sich auch Kalzinierung. Etwa zwei Drittel der CO2-Gesamtmenge, die bei der Herstellung von Zement freigesetzt wird, fallen hier an.

Stichwort Recycling

Deshalb den Kopf in den Sand stecken kommt jedoch für die Produktentwicklerin von Holcim, Cathleen Hoffmann, nicht infrage. Die Expertin weiss, wer heute nachhaltig bauen will, wählt Baustoffe, die eine lange Lebensdauer haben, rezyklierbar sind und eine tiefe CO2-Bilanz aufweisen. In akribischer, chemischer Feinarbeit ging Holcim dafür dem idealen Zementrezept nach, das einen reduzierten Klinkeranteil aufweist, ohne jedoch an Produktqualität einzubüssen. Denn klar ist, je weniger Klinker gebraucht wird, desto weniger Rohmaterial muss dafür gebrannt werden und desto weniger CO2 wird im Produktionsprozess freigesetzt. Die Lösung geht aber sogar noch einen Schritt weiter. Ein Teil des Klinkers ersetzt Holcim durch hochwertig aufbereitetes Mischabbruchgranulat, also durch mineralische Sekundärstoffe aus rückgebauten Gebäuden. Auf diese Weise kann Holcim den Baustoffkreislauf vollständig schliessen, da das Material sonst deponiert werden müsste. Der Klinkeranteil von Susteno liegt heute noch bei 55 Prozent, was den CO2-Ausstoss um ganze zehn Prozent reduziert. Ein Fortschritt, der sich sehen lassen kann.

Von Plus und Zero

Mit dem Einsatz des Susteno-Zements konnten zwei nachhaltige Betonprodukte kreiert werden: EvopactPLUS und EvopactZERO. Letzterer steht ganz unter dem Motto «do your best, compensate the rest». Denn während für EvopactPLUS der ressourcenschonende Zement, Susteno, und als Gesteinskörnung teilweise rezyklierte Materialien verwendet werden, handelt es sich bei EvopactZERO sogar um den schweizweit ersten komplett klimaneutralen Beton. Mit EvopactZERO werden die verbleibenden, technologisch derzeit nicht vermeidbaren Emissionen nämlich kompensiert.

Wichtige und richtige Schritte

Mischabbruchmaterial als Klinkerersatz ist nur eine von vielen Lösungen, mit denen Holcim für eine nachhaltige Zukunft arbeitet. Andere Massnahmen zur CO2-Reduktion beinhalten Investitionen in effiziente Anlagen und der Einsatz alternativer Brennstoffe. Durch die Verwertung von Plastik oder Klärschlamm wird der Einsatz von traditionellen Brennstoffen reduziert. «Bereits heute können wir mehr als die Hälfte unseres thermischen Energiebedarfs mit Sekundärstoffen decken», erklärt Hoffmann. «Zudem arbeiten wir an Lösungen, das ausgestossene CO2 aufzufangen und anderweitig wiedereinzusetzen.» Klar ist, auf das Ursprungsland der LafargeHolcim wird ein besonderes Augenmerk gelegt. «Wir sind eine Art Vorzeigeland für die ganze Gruppe», stellt die Expertin fest. «Wir können hier bei der Produktentwicklung unser Bestes tun, sodass andere Länder von unseren Erfahrungen und den Innovationen profitieren.» Dennoch bleibt die Produktion stark von den vorhandenen Rohstoffen vor Ort abhängig. Jedes Land sei daher gefordert, ein eigenes Rezept zu erfinden. Und das müssen sie auch. Denn die Zementindustrie wird von der Öffentlichkeit in Sachen CO2-Ausstoss mit Argusaugen beobachtet. Um so erfreulicher, dass Holcim mit dem neuen ressourcen- und klimaschonenden Beton einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu «Netto-Null» unternommen und geschafft hat.

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