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Verwaltung/Politik

VON SPIELRAUM UND EINFACHEN REGELN

18.11.2020

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Das Ziel heisst Netto-Null und ist sportlich: Um den Klimawandel zu begrenzen, sollen bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausgestossen werden. Dazu müssen die Energieeffizienz gesteigert und die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Ohne die Wirtschaft geht das nicht – was man auf Seiten der Behörden durchaus anerkennt. Trotz Nuancen in der Gewichtung. Wir haben nachgefragt.

Welche Rolle spielt die Wirtschaft, damit die Schweiz das Netto-Null-Ziel rechtzeitig erreicht?

Benoît Revaz: Die Wirtschaft ist die treibende Kraft – sie muss mit gutem Beispiel vorangehen, insbesondere indem sie zeigt, dass die Dekarbonisierung nicht nur technisch machbar ist, sondern auch als nachhaltiges und langfristig tragfähiges Geschäftsmodell taugt.

Wo stehen die Unternehmen heute – haben sie ihre Hausaufgaben gemacht?

Benoît Revaz: Wir können den Unternehmen zu dem gratulieren, was sie bis heute erreicht haben. Die Statistiken zeigen, dass sie ihre Hausaufgaben bis zu einem gewissen Grad gemacht haben. Die Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2050 bleibt jedoch eine Herausforderung, die von allen, nicht nur von den Unternehmen, zusätzliche Anstrengungen erfordert. Und der Einsatz lohnt sich.

Rudolf Minsch: Die Wirtschaft hat mehr als nur ihre Hausaufgaben gemacht. Sie steht sehr gut da. Die Unternehmen haben die Ziele erreicht. Sie sind sogar darüber hinausgeschossen. Immer mehr sehen, dass Umweltschutz und Energiesparen zweckmässig sind und längerfristig auch ökonomisch Vorteile bringen. Die Unternehmen wollen weitermachen – wenn man sie lässt. Wir sind bestrebt, auch die kommenden Ziele zu erreichen, wenn der Spielraum für die Umsetzung erhalten bleibt.

Vertrauen Sie der Wirtschaft und gewähren Sie ihr den nötigen Spielraum?

Benoît Revaz: Ja. Die Wirtschaft ist ein vertrauenswürdiger und wichtiger Partner, und die Ergebnisse sind da, dies zu beweisen. Darüber hinaus gibt der gesetzliche Rahmen der Wirtschaft genügend Spielraum, um die Ziele zu erreichen oder auf der Grundlage eigener Initiativen diese sogar zu übertreffen.

Das neue CO2-Gesetz sieht keine Einschränkungen vor. Wovor haben Sie Angst?

Rudolf Minsch: Das Gesetz ist das eine. Entscheidender ist die CO2-Verordnung. Hier können Parlament und Umsetzungsorganisationen nicht mitgestalten. Wir befürchten, dass übersteuert wird und das Erfolgsmodell Schweiz gefährdet ist. Übrigens ein Effizienz-Modell, das im Ausland auf Interesse stösst und übernommen wird.

Dass die Schweiz nicht alleine auf weiter Flur etwas bewirken kann, stellt keiner in Abrede. Schliesslich ist der Klimawandel ein weltumspannendes Phänomen. Doch beim Blick über die Grenze werden die Akzente unterschiedlich gesetzt.

Benoît Revaz

Welche Rolle spielen internationale Kooperationen?

Benoît Revaz: Die internationale Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle, weil sie es uns ermöglicht, Modelle und Vorgehensweisen kennenzulernen, die bei unseren internationalen Partnern funktionieren oder eben nicht. So können wir entweder unsere Methoden verbessern oder verhindern, dieselben Fehler zu begehen. Durch internationale Zusammenarbeit haben wir auch eine grossartige Plattform für den Austausch, wo wir die Lösungen von morgen entwickeln und testen können.

Rudolf Minsch: Die Schweiz kann vorangehen und innovativer sein als andere Länder. Wir können aber nicht im Alleingang die weltweite CO2-Problematik lösen. Die Ausgangslage ist in den meisten Ländern eine andere. Es gibt immer noch Länder, die Energie grösstenteils subventionieren, statt besteuern. Die Wirtschaft hat deshalb ein grosses Interesse daran, dass die Schweiz international koordiniert vorgeht. Wir wollen Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlegen, weil in anderen Ländern bessere Bedingungen herrschen. Damit ist ökonomisch und ökologisch nichts gewonnen.

Ohne Forschung und Innovation ist ebenso wenig gewonnen. Dem Forschungsplatz Schweiz winden denn auch beide Gesprächspartner ein Kränzchen – und formulieren unterschiedliche Wünsche.

Rudolf Minsch

Wie gut ist die Schweiz im internationalen Vergleich aufgestellt?

Benoît Revaz: Die Schweizer Forschung hat im internationalen Umfeld einen hervorragenden Ruf. So haben beispielsweise Projektanträge mit Schweizer Partnern im Rahmen der Forschungsrahmenprogramme der EU eine höhere Erfolgsquote. Die Schweizer Universitäten – und im Speziellen die ETH – belegen in den internationalen Rankings jeweils Topplätze.

Rudolf Minsch: Der ETH-Bereich ist in den Energie- und Umweltthemen führend. Die ETH Zürich, die Empa in Dübendorf, das PSI im Aargau und die EPFL in Lausanne sind internationale Topadressen. Auch in der Privatwirtschaft ist die Forschung sehr ausgeprägt. Grosse und mittlere Unternehmen leisten im Energiebereich einen beachtlichen Beitrag. Die Schweiz ist sehr gut aufgestellt.

Weil der Bund viel in Forschung investiert?

Rudolf Minsch: Das ist eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung.

Wie stark investiert der Bund in die Energie-Grundlagenforschung?

Benoît Revaz: Der Schwerpunkt der Forschungsförderung des BFE liegt bei der anwendungsorientierten Forschung. Projekte im Bereich der Grundlagenforschung werden nur gezielt und in Einzelfällen gefördert. Für Grundlagenforschung stehen prinzipiell die Förderprogramme des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.

Gelingt es den Firmen, an die Grundlagenforschung anzuknüpfen?

Rudolf Minsch: Auf jeden Fall. Der überwiegende Teil der Forschung und Entwicklung ist privat finanziert. Das Verhältnis liegt bei rund 70 Prozent Wirtschaft und 30 Prozent öffentliche Hand. Dieses Zusammenspiel ist für den Forschungsplatz Schweiz essenziell. Der Bund tut gut daran, Vertrauen in die Innovationskraft der Unternehmen zu haben.

Benoît Revaz: In der Regel ist die Wirtschaft an Forschungsvorhaben interessiert, die bereits eine gewisse Reife erlangt haben und bei denen daher das Risiko überschaubar ist. Unsere Forschungsprogramme versuchen, Erkenntnisse aus Grundlagenprojekten aufzunehmen und zusammen mit Wirtschaftspartnern in anwendungsorientierten Forschungsprojekten weiterzuentwickeln. Um in dieser kritischen Phase der Technologieentwicklung die Erfolgschancen zu steigern, steht der Bund auch hier mit spezifischen Instrumenten den Akteuren zur Seite. Zum Beispiel mit dem Programm für Pilot und Demonstrationsanlagen oder mit dem Technologiefonds.

Wie arbeiten Wirtschaft und öffentliche Forschung zusammen?

Rudolf Minsch: Entscheidend ist der Transfer über die Köpfe – dass gut ausgebildete Leute direkt den Weg von der Hochschule in die Wirtschaft finden. Ausserdem arbeiten die Projektpartner auf Augenhöhe zusammen. Wenn Forschende aus der Privatwirtschaft mit Forschenden aus der Hochschullandschaft kooperieren, profitieren beide. Letztlich läuft der Wissenstransfer auch über Spin-offs: Aus der Hochschullandschaft heraus werden Unternehmen gegründet, die auf dem Markt alleine weiterwachsen oder von bestehenden Playern gekauft werden. Die Themen in der Wissenschaft, sind ja vielfach hoch spezialisiert. Deshalb ist die Zusammenarbeit über die institutionellen Grenzen hinweg so wichtig

Welche Projekte sind vielversprechend?

Benoît Revaz: Wir besprechen die Forschungsvorhaben intensiv mit den Antragstellern. Dies um sicherzustellen, dass am Ende verwertbare Resultate vorliegen, die die Ziele der Energiestrategie unterstützen. Die Projekte, die wir fördern, sind daher mehrheitlich vielversprechend. Aktuelle Beispiele im Bereich der Fotovoltaik sind die Bifacial-Module. Diese Module könnten mittelfristig dazu führen, dass auch im hochalpinen Raum die Fotovoltaik Fuss fasst und einen Beitrag an die wichtige Winterproduktion leistet. Weitere vielversprechende Projekte werden in den Bereichen Elektrifizierung der Mobilität, der synthetischen Treibstoffe und der Wasserstofftechnologien vorangetrieben. Die Forschung ist auch in den Bereichen Negative Emissionstechnologien und SmartGrid gefordert. Die Digitalisierung ist zudem heute bei fast allen Projekten ein relevanter Aspekt.

Was wünscht sich Ihr Bundesamt von der Wirtschaft?

Benoît Revaz: Das BFE fördert Forschungsprojekte, die am Ende etwas bewirken und umgesetzt werden sollen. Hier wünschen wir uns natürlich, dass Industrie und KMU die Resultate aufgreifen und in effizientere Prozesse, Geräte oder Anlagen umsetzen. Oder dass sie mit den Resultaten die Ausbeute bei der erneuerbaren Energieproduktion erhöhen. Über unser Pilot- und Demonstrationsprogramm können wir die Wirtschaft unterstützen, die Erkenntnisse im grossen Massstab auf ihre Machbarkeit zu testen.

Was wünscht sich die Wirtschaft generell von der Verwaltung?

Rudolf Minsch: Dass sie das Reduktionsziel der Wirtschaft definiert und es der Wirtschaft überlässt, wie sie es erreicht. Wir wollen nicht, dass uns Politik und Verwaltung den Weg minutiös vorschreiben. Die Unternehmen wollen und brauchen Spielraum in der Umsetzung. Die ökologischen Massnahmen müssen für die Unternehmen betriebswirtschaftlich möglich und sinnvoll sein. Die Ergebnisse unserer Arbeit in den vergangenen 20 Jahren geben uns recht, dass diese Arbeitsteilung zielführend ist.

Manchmal macht es die Politik der Wirtschaft nicht einfach. Wie bei der Revision des CO2-Gesetzes, die sich endlos in die Länge zog – was manchen Unternehmer über die Planungsunsicherheit verzweifeln liess. Denn die zweite Verpflichtungsperiode läuft Ende 2020 aus.

Rudolf Minsch

Welches Fazit ziehen Sie aus den ersten beiden Perioden?

Benoît Revaz: Die CO2-Abgabe ist eine Lenkungsabgabe. Die Umsetzung ist sehr einfach. Die Rückerstattung der CO2-Abgabe als flankierende Massnahme verursacht hingegen einen relativ grossen Aufwand. Positiv dabei ist, dass die Unternehmen für die Optimierung des Energieverbrauchs durch Energieberater begleitet und sensibilisiert werden.

Rudolf Minsch: Wirtschaft und Industrie haben viel geleistet. Wir haben geliefert. Verlässlich und mehr, als wir mussten. Der Erfolg beruht auf dem Zusammenspiel von freiwilliger Zielvereinbarung in Kombination mit Lenkungsabgabe, mit der Umsetzung von wirtschaftlichen Massnahmen und Zusammenarbeit von Unternehmen in langfristigen Effizienznetzwerken. Dies hat eine positive Dynamik ausgelöst und bewirkt, dass Unternehmen motivierte Energiesparer werden. Die gute Stimmung sollten wir unbedingt mitnehmen. Die Firmen wollen, aber sie wollen auch die Freiwilligkeit beibehalten. Ein Unternehmer kann und soll entscheiden, eine Zielvereinbarung abzuschliessen, er darf aber nicht dazu gezwungen werden.

Tut er es nicht, bringt er sich um die Möglichkeit, die CO2-Abgabe rückerstattet zu bekommen.

Rudolf Minsch: Es bleibt aber seine freiwillige Entscheidung. Das macht sehr viel aus und ermöglicht ein ganz anderes Commitment. Mit der Zeit sehen die Unternehmen, dass die Massnahmenumsetzung auch dort etwas bringt, wo sie gar nicht daran gedacht haben. Das löst die Dynamik aus.

Was dazu führt, dass die Gesetzten Ziele übererfüllt werden – ist das Ihr grösstes Learning aus den ersten beiden Perioden?

Rudolf Minsch: Ja, das ist das Wichtigste. Dieser Mechanismus wird in der Verwaltung teilweise missverstanden. Sie denken, es ginge nur um die Rückerstattung der Abgabe, um deren Lenkungseffekt. Aber nach unserer Erfahrung ist es nicht so. Klar, eine Verteuerung von Energie bewirkt etwas. Viel wichtiger ist aber, mitarbeiten zu können, um die Steuer zurückzubekommen, und dann noch mehr zu machen. Beim Mitmachen kommt der Plausch an den multiplen Benefits.

Welches ist für das BFE das grösste Learning?

Benoît Revaz: Die Regelungen müssen so einfach wie möglich ausgestaltet werden. Über die Jahre haben sich die Anforderungen aus der CO2– und Energiegesetzgebung etwas auseinanderentwickelt. Damit der Vollzug einfacher wird, müssen die Regelungen wieder vereinheitlicht werden.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Behörden in der dritten Verpflichtungsperiode aus?

Benoît Revaz: Die bisherige Aufgabenteilung zwischen den Behörden und der Wirtschaft soll weitergeführt werden. Die Wirtschaft spielt unter der Aufsicht der Behörden eine nach wie vor wichtige Rolle. Wegen der voraussichtlich grösseren Anzahl Zielvereinbarungen und Verminderungsverpflichtungen wird es sogar so sein, dass der Wirtschaft bezüglich der Qualitätssicherung eine viel grössere Rolle als bisher zukommt. Die Wirtschaft muss selbst dafür sorgen, dass die Zielvereinbarungen eine gute Qualität aufweisen. Nur so kann auch die Glaubwürdigkeit der Zielvereinbarungen erhalten bleiben oder sogar gesteigert werden.

Rudolf Minsch: Wir spüren, dass vergessen gegangen ist, wie das Zielvereinbarungssystem entstanden ist: als private Initiative von der Wirtschaft für die Wirtschaft, in sehr enger Zusammenarbeit mit dem Bund – es war eine gelebte Public Private Partnership (PPP). Wir haben Instrumente vorgeschlagen und dann haben wir uns verständigt. Die Behörden haben die Bedürfnisse der Wirtschaft berücksichtigt und den Unternehmen den nötigen Spielraum für die Zielerreichung zugestanden. Dieses Verständnis hat etwas abgenommen. Um effektiv am Netto-Null-Ziel zu arbeiten, sollten wir dahin zurückfinden.

Welche Rolle spielen die Umsetzungsorganisationen?

Benoît Revaz: Es wird nach wie vor Leistungserbringer aus der Privatwirtschaft geben, die einen Grossteil der Arbeiten übernehmen werden. Wer welche Aufträge erhalten wird, ergibt sich aus den Beschaffungsverfahren. Das BFE ist als zentraler Teil der Bundesverwaltung dem Beschaffungsrecht unterstellt und muss die Beschaffungen entsprechend vornehmen.

Rudolf Minsch: Ich kann nur für die EnAW sprechen. Wir sind die Ansprechpartnerin für die Unternehmen und moderieren zwischen Wirtschaft und Staat. Wir erarbeiten mit den Unternehmen die Zielvereinbarung und zeigen auf, mit welchen Massnahmen dieses Ziel zu erreichen ist. Auch nach Abschluss der Zielvereinbarung sind wir für die Unternehmen da und begleiten sie. Mit unseren Tools monitoren wir, ob die Zielvereinbarung eingehalten wird, oder ob zusätzliche Massnahmen nötig sind. Für die Unternehmen sind wir eine Vertrauensinstitution. Wir behandeln die Daten über ihre Energiesituation vertraulich und liefern der Behörde die Zielvereinbarungsdaten – korrekt und plausibilisiert. Wir sind überzeugt, dass viele Unternehmen extrem zurückhaltend wären, ihre Datenflüsse offenzulegen, wenn der Staat das direkt machen würde.

Wie geht es weiter, wenn das CO2-Gesetz scheitern sollte?

Rudolf Minsch: Kommt das Referendum zustande und sagt die Bevölkerung Nein, muss sofort gehandelt werden, um die Rechtssicherheit wiederherzustellen. Was gilt jetzt? Wird das alte Gesetz verlängert? Da besteht rascher Klärungsbedarf.

Wie rasch kann die Rechtssicherheit wiederhergestellt werden?

Benoît Revaz: Zurzeit gibt es Rechtssicherheit. Das revidierte CO2-Gesetz soll nach dem Zwischenjahr mit der Übergangsregelung Anfang 2022 in Kraft treten. Falls das CO2-Gesetz an der Urne scheitern sollte, ist es im Wesentlichen Sache des Gesetzgebers, Lösungen zu finden. Die Wirtschaft müsste ein grosses Interesse haben, dass das revidierte CO2-Gesetz rechtzeitig in Kraft tritt. Damit lässt sich die Rechtssicherheit am besten aufrechterhalten.

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