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ZWEI PIONIERE, EIN GROSSES ZIEL

Ein Zürcher Start-up und ein Mineralwasserhersteller aus den Bündner Bergen verfolgen ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die Welt mit Pioniergeist und Innovationskraft ein bisschen besser machen.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

  • Mit der neuartigen DAC-Technologie entfernt das Zürcher Start-up Climeworks CO2 aus der Atmosphäre.
  • Dieses reine CO2 ist heute als Kohlensäure im berühmten Mineralwasser des EnAW-Teilnehmers VALSER zu finden.
  • Ein visionäres, innovatives Projekt rund um eine Technologie, die dem Klimawandel entgegenwirken soll.

Daniel Egger (l.) und Patrick Wittweiler sind eingespielte Kooperationspartner.

Sie sind in aller Munde. Ob bei der EnAW-Fachtagung, im amerikanischen Fernsehen, in den Schweizer Medien oder bei Galileo – die ganze Welt schaut auf die kleine Gemeinde Hinwil im Zürcher Oberland. Der Grund dafür? Ein Zürcher Start-up, das sich nicht weniger vorgenommen hat, als dem Klimawandel den Kampf anzusagen. «Das waren zwei Spinner, die in einem Labor etwas ausprobiert haben», schmunzelt Daniel Egger. Der Ingenieur ist verantwortlich für das Marketing und den Verkauf und stolz auf den Werdegang von Climeworks. Die Rede ist von Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, die sich in ihrer Doktorarbeit an der ETH Zürich mit der sogenannten Direct Air Capture (DAC)-Technologie befasst haben. Mit dieser Technologie kann CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden. Klingt zu gut, um wahr zu sein? Ist aber Realität: Die erste kommerzielle DAC-Anlage wurde im Mai 2017 in Hinwil von Climeworks in Betrieb genommen.

KEHRICHT, KOHLENSTOFF UND GEMÜSE

Schon von Weitem sieht man die Kollektoren auf dem Dach der Kehrichtverbrennungsanlage (KEZO) in Hinwil. Anlagen wie diese gibt es mittlerweile 14. Sie sei aber die Grösste und als erste kommerzielle Anlage für die DAC-Technologie auch die Älteste. «In den Kollektoren befinden sich chemische Filter, die das CO2 einfangen», erklärt Egger. Genau in diesem Filter liege die innovative Technologie von Climeworks. «Obwohl immer über eine sehr hohe CO2-Konzentration in der Luft gesprochen wird, existiert auf 2500 Luftteile gerade Mal ein einziges CO2-Teil. Die Kunst liegt darin, genau dieses eine Teilchen über unsere Filter herauszuziehen.» Drei Stunden dauert es, bis der Filter gesättigt ist. Anschliessend wird das reine CO2 mit Wärme vom Filter gelöst, verflüssigt und so transportfähig gemacht. Moment – gesättigte Filter? Mit Wärme? Transportfähig? Das hört sich nicht gerade nachhaltig an. Ist es aber. Das Prinzip ist so einzigartig wie genial: Mit der Abwärme der KEZO, also mit überschüssiger Energie, wird der Strom erzeugt, der die Ventilatoren antreibt, um das reine CO2 daraus zu lösen. Diese Filter können wieder und wieder verwendet werden. Danach gelangt das CO2 über unterirdische Leitungen in das nahegelegene Gewächshaus der Gebrüder Meier Gemüsekulturen AG, die ihre Gewächshäuser ebenfalls mit der Abwärme der KEZO heizen. Warum diese reines CO2 aus der Luft brauchen? Damit ihre Spezialitäten wie Nüsslisalat oder Snack- Gurken um ganze 20 Prozent schneller wachsen. Aber die Gewächshäuser sollten nicht die einzigen Abnehmer für das CO2 aus der Luft bleiben: Schon bei den Feierlichkeiten zum Start dieses Projekts waren Vertreter von Coca-Cola geladen.

EIN LANG ERSEHNTER «GO»-ENTSCHEID

Patrick Wittweiler, der Sustainability Manager der Coca-Cola HBC Schweiz AG, war nach einem Treffen mit den Gründern von Climeworks bereits 2011 hellauf von deren Vision begeistert. Was, wenn die Kohlensäure für das berühmte VALSER Mineralwasser tatsächlich aus der Luft gezogen werden könnte? «Unsere Branche ist weltweit diejenige mit dem grössten Bedarf an CO2. Es ist einer unserer Hauptrohstoffe», so Wittweiler. «Deshalb liegt die Messlatte in Sachen Qualität und die damit verbundene Skepsis der Stakeholder extrem hoch.» Zu Beginn des Projekts musste Wittweiler viel Überzeugungsarbeit leisten. Nur wenige hielten es für realisierbar, CO2 aus der Luft ins Getränk zu befördern. Nach zahlreichen Gesprächen, aktiver Überzeugungsarbeit, steigender Reputation von Climeworks und der kommerziellen Zulassung der Technologie kam er 2017 endlich: der lang ersehnte «Go»-Entscheid. Nicht nur für Wittweiler war dieser Schritt ein Erfolg. Auch Egger weiss: «Es braucht immer Vorreiter wie Coca-Cola, die das Know-how und die Kapazitäten haben, ein solches Projekt zu stemmen und so den ersten Schritt machen. Diese Zusammenarbeit ist für uns sehr wertvoll.»

VON DER QUELLE IN DIE FLASCHE

Nach dem Entscheid ging die Arbeit für die beiden Pioniere weiter. Es galt, konkret an der Umsetzung zu arbeiten, die operativen Prozesse zu definieren, Zertifizierungen, Freigaben und Auditierungen erfolgreich über die Bühne zu bringen. Am 8. Februar 2019 war es dann soweit: Der erste Lastwagen mit reinem CO2 erreichte das malerische Valsertal und den Abfüllbetrieb von VALSER. Bis das CO2 aber als Kohlensäure in die berühmten grünen Flaschen kommt, hat das natürliche Mineralwasser bereits eine lange Reise hinter sich. VALSER Mineralwasser sickert mindestens 25 Jahre durch den Berg, bis es natürlich gefiltert und mit Mineralien angereichert aus der Quelle sprudelt. Pro Minute sind das bis zu 1000 Liter. In dem Moment ist es noch eisenhaltig und wird daher anschliessend durch einen Sandfilter geleitet, vom Eisen befreit und gelangt dann als Reinwasser in die grossen Tanks zur späteren Abfüllung. Laufende Überwachungen und Proben sichern die Qualität. Dabei werden neben den schweizerischen Gesetzesrichtlinien die noch strengeren Regeln von Coca-Cola berücksichtigt. So auch bei der Anlieferung des CO2 aus Hinwil. «Wenn unser CO2 die umfassenden Qualitätsstandards von Coca-Cola erfüllt, eignet es sich für potenzielle Abnehmer aus anderen Branchen erst recht», weiss Egger. Denn erst nachdem eine Probe der Lieferung strengstens im Labor untersucht und freigegeben wurde, darf es im flüssigen Zustand in den Tank vor dem Hauptgebäude geleitet werden. In einem Verdampfer wird das VALSER Wasser mit Kohlensäure aus der Luft karbonisiert, abgefüllt, verpackt und vertrieben.

VERANTWORTUNG WAHRNEHMEN

Aber was treibt ein Unternehmen wie VALSER, beziehungsweise Coca-Cola HBC, eigentlich an, eine solche Zusammenarbeit einzugehen? Ist es das Geld? «Das als Letztes!», versichert Wittweiler. «Finanziell lohnt sich das Ganze bisher nicht. Es ist teurer, aufwendiger und zeitintensiver.» Was also dann? Es sei unter anderem der Glaube an eine Technologie, die unsere Welt weiterbringen könne. Auch nehme Coca-Cola als weltweit bekannte Marke mit solchen Projekten ihre Verantwortung als Vorreiterin wahr. Trotzdem: Wittweiler ist überzeugt, dass sich Nachhaltigkeit langfristig immer rechnet. Auch deshalb nimmt Coca-Cola HBC seit 2003 am Energie-Management der EnAW teil. VALSER selbst hat 2015 in enger Zusammenarbeit mit EnAW-Berater Othmar Arnold eine verbindliche Zielvereinbarung mit dem Bund abgeschlossen. Die Produktion in Vals ist energieintensiv. Besonders die thermischen Bereiche fallen dabei ins Gewicht. Dazu gehört beispielsweise die Waschmaschine, welche die gebrauchten Glasflaschen gründlich und heiss reinigt, bevor diese erneut mit frischem Mineralwasser gefüllt werden. Die mit der EnAW gemeinsam formulierten Massnahmen sind vielseitig und reichen von Rohrisolationen bis zur Abwärmenutzung zum Heizen der Räumlichkeiten. Auch eine Holzschnitzelheizung mit Fernwärme ist in Planung. «Mit Othmar Arnold und der EnAW haben wir einen verlässlichen Sparringpartner, der uns bei der Umsetzung der vereinbarten Ziele tatkräftig unterstützt», sagt Wittweiler. Das Projekt mit Climeworks sei allerdings nicht Teil der Zielvereinbarung. «Das machen wir aus Überzeugung!»

BLICK IN DIE ZUKUNFT

Apropos Zukunft – wie geht es nach dem erfolgreichen Start mit Coca-Cola HBC eigentlich für Climeworks weiter? «Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig, dass die DAC-Technologie eine der Schlüsseltechnologien sein wird, um den Klimawandel aufzuhalten», so Egger. Das, weil sie industriell skalierbar sei. Egger gibt zu: «Im Moment sind wir noch weit davon entfernt. Wir saugen in Hinwil pro Jahr etwa 1000 Tonnen CO2 aus der Luft.» Das mache noch keinen weltweiten Unterschied. Ziel sei es aber, die Technologie so zu skalieren, dass sie einen Unterschied macht. Und daran glauben neben den 85 Mitarbeitenden von Climeworks auch zahlreiche Förderinstitutionen, Investoren und die Medien. Hand aufs Herz: bei so viel Medienpräsenz und Vertrauen der Investoren – ist das ein Druck oder eher ein Ansporn? «Natürlich erzeugen die Erwartungshaltungen einen gewissen Druck. Aber das spornt uns auch extrem an. Die Leute beginnen uns zu verstehen und schätzen unsere Arbeit sehr. Das macht uns stolz», so Egger. Die Vision von Climeworks ist es, bis 2025 ein Prozent der jährlichen, globalen CO2-Emissionen aus der Luft zu filtern. «Dafür ist die Zusammenarbeit mit der Getränkebranche Gold wert», so Egger. Der Getränkemarkt werde eine Schlüsselrolle spielen, um eine Technologie weiterzuentwickeln, die dem Klimawandel entgegenwirke. Eine lange, zeitintensive Reise, die Wittweiler und Egger gemeinsam weitergehen werden.

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