Die natürli zürioberland ag strebt eine langfristig CO2-neutrale Produktion an. Gemeinsam mit der EnAW erarbeitet die Käseproduzentin und -vertreiberin deshalb eine Roadmap zur Dekarbonisierung.
Nicht nur der Käse braucht seine Zeit, bis er reif ist: Für die Dekarbonisierung auf Netto-Null braucht es eine gute Begleitung und eine langfristige Herangehensweise.
Im Käsekeller lagert und pflegt die natürli zürioberland ag verschiedene Käsespezialitäten aus der Region.
Ein hoher Wärmebedarf besteht beim Pasteurisieren, Thermisieren und Reinigen.
Intensiver Austausch: Bei der Bestandesaufnahme arbeiten der EnAW-Berater, der Roadmap-Experte und die natürli eng zusammen.
Die Produktequalität hat stets oberste Priorität.
Die Weichen richtig stellen: Für eine vollständige Dekarbonisierung müssen auch Prozess- und Technologieveränderungen in Betracht gezogen werden.
Die alte, umfunktionierte Militärhalle direkt neben dem Bahnhof Saland im Zürcher Tösstal wirkt von aussen unscheinbar. Doch was sich drinnen verbirgt, lässt «Käseherzen» höherschlagen: Rund 200 Tonnen Käse reifen im Tonsteingewölbekeller der natürli zürioberland ag, die hauptsächlich als Vertriebsnetz ausgewählter Käsespezialitäten und Milchprodukte agiert. Damit sichert natürli seit 26 Jahren die Existenz der Kleinkäsereien im Zürcher Oberland und pflegt die vielseitige regionale Käsekultur. Seit 2014 produziert natürli am Hauptsitz in Saland auch selbst Milchprodukte. 2018 kam die Produktion von Hüttenkäse dazu. Damit einhergegangen ist ein erhöhter Energiebedarf, denn die Produktion. von Hüttenkäse und Milchprodukten ist energieintensiv.
Fernziel Netto-Null
«Insbesondere beim Pasteurisieren, Thermisieren und Reinigen haben wir einen hohen Wärmebedarf, unter anderem, um die Hygienevorschriften in der Produktionskette einzuhalten», weiss Michael Ates. Er ist seit diesem Jahr als Leiter Facility-Management tätig und für das Gebäude und sämtliche technischen Anlagen zuständig. Bei der Herstellung diverser Milchprodukte wird die Milch kurzzeitig erwärmt, keimfrei und damit haltbar gemacht – also pasteurisiert. «Dafür brauchen wir Temperaturen von 73 bis 105 Grad Celsius», konkretisiert Ates. In der Hüttenkäseproduktion werden ungefähr 60 Grad Celsius benötigt, um den Magermilchbruch zu temperieren, damit er dick wird. Zudem müssen die Maschinen nach jedem Gebrauch sterilisiert und das Gebäude beheizt werden. Für das Sterilisieren wird Dampf benötigt. Auch das Wärmenetz ist derzeit auf Dampf ausgelegt. Erzeugt wird die Prozesswärme heute deshalb über einen mit Heizöl betriebenen Dampfkessel.
Auch wenn die meisten Temperaturen mit rund 70 Grad Celsius nicht sonderlich hoch seien, «haben wir einen monatlichen Heizölverbrauch von rund 4000 Litern», weiss Ates. Diese Zahl ist der natürli zürioberland ag ein Dorn im Auge: «Als Lebensmittelunternehmen mit regionaler Verankerung gehört Nachhaltigkeit zu unserer Firmen-DNA», sagt er. «Es ist für uns selbstverständlich, dass wir auch energetisch nachhaltig sein wollen.» Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat sich natürli das Ziel einer langfristig CO2-neutralen Produktion gesetzt.
Roadmap zur Dekarbonisierung
«Damit wir den Weg zu Netto-Null klug angehen können, sind wir angewiesen auf Expertise und eine sorgsame Planung», sagt Ates. Der Leiter Technik, Gino Barille, stimmt seinem Arbeitskollegen zu: «Eine gute Begleitung ist für uns zentral. Mit der EnAW haben wir einen verlässlichen Partner, um einen machbaren und bezahlbaren Plan zu erarbeiten», so Barille. Am Beginn der Zusammenarbeit mit der EnAW stand die Frage nach einem Wärmeverbund mit der Holzheizzentrale beim benachbarten Holzbauunternehmen, erinnert sich der EnAW-Berater Stefan Eggimann. «Das ist eigentlich eine sinnvolle Massnahme», sagt er. Allerdings stellte man bei natürli rasch fest, dass die technischen Voraussetzungen für eine Integration der Prozesswärme noch nicht gegeben sind. Mit einem Fernwärmeanschluss hätte natürli somit lediglich die Büroarbeitsplätze erneuerbar beheizen können, nicht aber die Produktionsprozesse.
Das Ziel einer CO2-neutralen Produktion muss in Saland also anders angegangen werden. Dafür erarbeitet die Firma im Rahmen eines Pilotprojekts gemeinsam mit ihrem EnAW-Berater Stefan Eggimann und dem Roadmap-Experten Roman Bader eine Roadmap zur Dekarbonisierung.
Nachhaltigkeit gehört zu unserer Firmen-DNA.
Michael Ates, Leiter Facility-Management
Umsetzbare Gesamtlösung bis 2050
Eine Roadmap ist eine langfristige Planung, die dem Unternehmen Wege zu Netto-Null bis 2050 unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeiten aufzeigen soll. «Als Berater müssen wir die Bedürfnisse des Unternehmens verstehen und auf sie eingehen können», sind sich Eggimann und Bader einig. Potenziale und Risiken müssen richtig eingeschätzt werden. «Die Herausforderung liegt darin, alle relevanten technischen, wirtschaftlichen und weiteren Aspekte zu erfassen und zu einer Gesamtlösung zu entwickeln, die das Unter nehmen umsetzen kann», so Bader. Der Prozess zur Erstellung einer Roadmap folgt dabei einem typischen Ablauf (vgl. Grafik unter «Weitere Informationen»). Dabei sei das Bekenntnis zum Fernziel Netto-Null der erste wichtige Schritt, so Eggimann: «Es muss die Bereitschaft da sein, den Weg der Dekarbonisierung konsequent zu verfolgen.» Denn eine Roadmap zur Dekarbonisierung führt weiter als eine Zielvereinbarung, sowohl was den Zeithorizont an geht als auch was die Absenkung der Treibhausgasemissionen betrifft.
Aller Anfang ist eine Bestandesaufnahme
In einem ersten Schritt wird bei der Roadmap eine Bestandesaufnahme gemacht. Was sich nach einer simplen Momentaufnahme anhört, ist in Tat und Wahrheit eine umfangreiche Abklärung. «Wir müssen ganz genau verstehen, wie die Produktionsprozesse zusammenhängen», so Eggimann. Eine einzelne Begehung reiche dabei nicht aus, vielmehr bedinge es einen intensiven Austausch. Der EnAW-Berater und der Roadmap-Experte stehen deshalb in engem Kontakt mit natürli. «Wir mussten sogar ehemalige Mitarbeitende einbeziehen», sagt Bader. Und obwohl der Prozess noch in Gang ist, kann bereits eine erste Zwischenbilanz gezogen werden: «Da die Prozesswärme bislang über den Dampfkessel produziert wird, müssen wir gemeinsam mit natürli nach Lösungen suchen, wie diese künftig ohne den bestehenden fossilen Dampferzeuger bereitgestellt werden kann», sagt Eggimann. «Dabei stellte sich rasch heraus, dass ein hohes Abwärmepotenzial vorhanden ist, das mit Wärmepumpen nutzbar gemacht werden könnte», ergänzt Bader. Das sei in Betrieben wie Molkereien typisch, da einerseits Prozesswärme für die Produktion gebraucht wird und andererseits die Produkte gekühlt werden müssen. Letzteres geschieht bei natürli im Tonsteingewölbekeller, der nach dem Raum-im-Raum-Prinzip funktioniert und von Ates auch liebevoll «Käsetresor» genannt wird. «Lagert der Käse im Keller, braucht er vor allem Zeit und Liebe», schmunzelt Ates.
Geschickt kombinieren
Was ebenfalls Zeit braucht, ist die Dekarbonisierung auf Netto-Null. Für die Erstellung einer Roadmap zur Dekarbonisierung hat die EnAW eigens eine Methodik und darauf zugeschnittene Arbeitsmittel entwickelt. Denn eine Dekarbonisierung auf Netto-Null erfordert eine langfristige Herangehensweise: «Wir müssen uns überlegen, wie wir in 10, 20 und 30 Jahren in einer zunehmend fossilfreien Welt unsere Prozesse effizient und kostengünstig mit Energie versorgen werden», so Bader. Um Wege zu Netto-Null aufzuzeigen, werden alle der möglichen Massnahmenbereiche zur Dekarbonisierung in Betracht gezogen (vgl. Grafik unter «Weitere Informationen»). Dabei wird auch nach möglichen Prozess- und Technologieveränderungen Ausschau gehalten. Selbst die einzelnen Produkte werden unter die Lupe genommen. «Produktionsanlagen haben oft Lebenszyklen von 20 Jahren und mehr», erklärt Bader. «Um bis Mitte dieses Jahrhunderts vollständig zu dekarbonisieren, müssen bei Ersatzbeschaffungen bereits heute die Weichen richtig gestellt werden.»
Aber auch einfachere, kurz- bis mittelfristig umsetzbare Effizienzmassnahmen wie die Isolierung von Zuleitungen oder die Optimierung des Wärmeverteilnetzes werden berücksichtigt. Das zeigt: Eine Roadmap besteht aus einer Kombination von aufeinander abgestimmten Massnahmen, welche in der Summe kosteneffizient zu Netto-Null führen.
Technisch und wirtschaftlich machbar
Gerade bei längerfristigen Massnahmen spielt die technische und wirtschaftliche Machbarkeit eine grosse Rolle – so auch bei natürli. Denn auch wenn für die Käseproduzentin und -vertreiberin klar ist, dass am Netto-Null-Ziel kein Weg vorbeiführt, ist die Firma auf Planungssicherheit angewiesen: «Wir müssen unsere Produktequalität garantieren und die finanziellen Investitionen planen können», hält Ates fest. Deshalb ist es wichtig, die technische Komplexität und die Risiken einer Massnahme realistisch einzuschätzen. Bei Veränderungen an den Prozessen hat die Wahrung der Prozess- und Produktequalität sowie die Störungsfreiheit im Betrieb stets oberste Priorität. Bei neuen Energietechnologien muss gewährleistet werden, dass deren Potenzial auch langfristig Bestand hat. Zudem müssen die erforderlichen Temperaturen im Sommer wie im Winter erzeugt werden können. «Der technologische Fortschritt hat somit einen wichtigen Einfluss auf die Roadmap. Wir beobachten und evaluieren die Trends laufend», versichert Eggimann. Auch die wirtschaftliche Machbarkeitsanalyse gehört zum Roadmap-Prozess dazu. «Anhand von Schätzungen zu Kosten und Wirkung können wir die üblichen Wirtschaftlichkeitsparameter berechnen. Daneben können die Massnahmen auch anhand ihrer Treibhausgas-Vermeidungskosten beurteilt werden», sagt Bader. Für natürli ist das ein zentrales Anliegen: «Wir sind froh, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt und wir sichere Investitionen tätigen », so Ates.
Die Bereitschaft muss da sein, den Weg der Dekarbonisierung konsequent zu verfolgen.
Stefan Eggimann, EnAW-Berater
Varianten entwickeln, vergleichen und letztlich umsetzen
So viel ist klar: Bei der Erarbeitung einer Roadmap gibt es oft verschiedene Wege, die zum Ziel führen können. «Es ist daher sinnvoll, mehrere Varianten zu erstellen und diese einander gegenüberzustellen», so Bader. Konkret werden Kosten, Wirkung, Wirtschaftlichkeit sowie Risiken und Chancen und nicht energetische Effekte durch Massnahmen – sogenannte «Multiple Benefits» – verglichen und dadurch die bestmögliche Lösung für jedes Unternehmen individuell eruiert. «Wir entwickeln momentan eine Web-Applikation, mit der wir während der Bestandesaufnahme die relevanten Daten erfassen, visualisieren und Massnahmenlisten erstellen können. Das Tool ist auch eine Berechnungshilfe zur Massnahmenbeurteilung: Es hilft bei der Erstellung und Visualisierung von Roadmap-Pfaden», sagt Bader. Das erlaube, Varianten mit unterschiedlichen Ambitionslevels aufzuzeigen und zu vergleichen.
Sobald der Entscheid für eine Umsetzungsvariante gefallen ist, steht der Umsetzung der Roadmap nichts mehr im Weg. Und auch dabei bleiben die EnAW-Berater gerne involviert: «Bei der Umsetzung stehen wir beratend zur Seite», sagt Eggimann. Er lässt durchblicken, dass weitere EnAW-Dienstleistungen geplant sind, die die Umsetzungsphase optimal ergänzen werden. Bis es bei natürli so weit ist, stehen noch einige Arbeitsschritte an – Fortsetzung garantiert.
Herr Heller, Natürli setzt auf Genuss mit Herkunft. Was heisst das?
Wir wollen das Original, das Herkömmliche bewahren und den kleinen Käsereien und deren Handwerk Perspektiven bieten. Dabei setzen wir stark auf Regionalität und streben möglichst kurze Wege an: Wir kennen unsere Milchlieferanten. Wir wissen, wo unsere Produkte herkommen. Unser Credo ist, alles so natürlich zu belassen wie es nur geht. Gleichzeitig fördern wir Innovation.
Inwiefern?
Indem wir mit traditionellen Verfahren und Rezepturen neue Produkte auf den Markt bringen. Ein Beispiel ist der Cheebab, der erste vegetarische Kebab auf Käsebasis. Unsere Käsehäuser in Lebensmittelläden, die sogenannten Humidore, sind ein weiteres Beispiel. So können wir den Käsekeller, der eine Hygienezone sein muss, für unsere Kunden öffnen. Näher an der Kundschaft reift kein Käse. Selbst in der Stadt schaffen wir so ein möglichst authentisches Käseerlebnis. Die Resonanz ist grossartig.
Sie haben sich zum Fernziel Netto-Null bekannt. Woher kommt diese Motivation?
Es passt zur Unternehmensphilosophie, die wir seit der Gründung durch Fredy Bieri vor über 26 Jahren leben. Wir setzen auf eine nachhaltige Tierhaltung, einen nachhaltigen Umgang mit unseren Partnern und mit der Umwelt. Diese Überzeugung ist bei allen Mitarbeitenden spürbar.
Was brauchen Sie, um das Ziel zu einer CO₂-neutralen Produktion zu erreichen?
Am liebsten würden wir das Ziel ja kurzfristig erreichen! Aber bei uns spielt die wirtschaftliche Machbarkeit eine zentrale Rolle. Zudem müssen wir die Qualität unserer Produkte sicherstellen. Die Umsetzung der Dekarbonisierung ist für uns deshalb eine Frage der Priorisierung. Und hier verlassen wir uns voll und ganz auf die Expertise von Stefan Eggimann und Roman Bader, damit wir gemeinsam eine machbare Roadmap zur Dekarbonisierung planen und umsetzen können.
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07.11.2024