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«ENERGIEEFFIZIENZ UMFASST DEN GESAMTEN PRODUKTIONSPROZESS»

27.11.2020

Dr. Marie-Luise Wolff, CEO des Darmstädter Energieversorgers Entega AG, über Erfolge und künftige Herausforderungen der deutschen Energieeffizienz-Netzwerke.

Frau Dr. Wolff, Sie leiten in Darmstadt einen grossen regionalen Energieversorger. Daneben engagieren Sie sich als Botschafterin der deutschlandweiten Initiative Energieeffizienz-Netzwerke (EEN). Wie verhelfen Unternehmensnetzwerke der Energieeffizienz zum Durchbruch?

Indem sie das Thema Effizienz nicht als Einzelherausforderung verstehen, sondern sich als Gruppe neuen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen stellen. Hat sich eine Zahl von mindestens fünf Unternehmen gefunden, durchlaufen alle einen ersten Effizienzcheck, der dazu dient, ein gemeinsames Verständnis der unterschiedlichen Produktionsprozesse zu schaffen. Anschliessend überlegt jedes teilnehmende Unternehmen genau, welche Einsparungen es auf Basis der Ist-Analyse erreichen kann. Daraus wird ein aggregiertes Einsparziel formuliert, das es gemeinsam umzusetzen gilt.

Die EEN entstand ab 2014 nach dem Vorbild der Energie-Modell-Gruppen, die in der Schweiz unter dem Dach der Energie-Agentur der Wirtschaft arbeiten. Wie haben sich die Energieeffizienz-Netzwerke seither entwickelt?

Sie sind heute deutlich diversifizierter aufgestellt als noch in den Anfängen. Neben Effizienz tauscht man sich heute immer öfter über Klimaschutzthemen, erneuerbare Energien und Wärme-Kraft-Kupplung aus. Da geht es zum Beispiel um die optimale Auslegung von Eigenerzeugungsanlagen in Verbindung mit der Bestellung von Netzreservekapazitäten beim Netzbetreiber oder um die Frage, wie Mitarbeitende motiviert werden können, Energie im eigenen Verantwortungsbereich einzusparen. Gerade Netzwerke, an denen Universitäten und Forschungseinrichtungen beteiligt sind, werden häufig auch als wichtige Weiterbildungsplattform genutzt, weil hier Wissenschaft und Praxis zusammenkommen.

Der Energieversorger ENTEGA, den Sie operativ führen, ist selbst an einem EEN beteiligt. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Mit dem Energieeffizienz-Netzwerk ETA-Plus sind wir an einem einzigartigen Netzwerk in Deutschland beteiligt. Das Netzwerk zeichnet sich durch eine Reihe von Alleinstellungsmerkmalen aus, zum Beispiel praxisnahe Schulungen in der ETA-Fabrik, dem Energieeffizienz-, Technologie- und Anwendungszentrum der Technischen Universität Darmstadt. Hier beobachten die Teilnehmenden ganze technologieübergreifende Prozesse, wie sie in der Industrie typisch sind. Danach diskutieren sie, wo Effizienzpotenziale liegen und wie sich diese erschliessen lassen. Das sorgt für einen hohen Lerneffekt. Darüber hinaus hat mich die Breite der Ansatzpunkte beeindruckt: von der Optimierung einzelner Komponenten wie Motoren und Antriebe bis zum strategischen Strom- und Gaseinkauf oder der Reduktion der Energienebenkosten bis zu Fragen der Energieflexibilität.

Neben Effizienz tauscht man sich heute immer öfter über Klimaschutzthemen, erneuerbare Energien und Wärme-Kraft-Kopplung aus.

Sehen Sie Möglichkeiten, um das Effizienzpotenzial in den Unternehmen noch konsequenter auszuschöpfen?

Im zunehmend automatisierten und digitalisierten Produktionsbetrieb spielt das Thema Effizienzsteigerung einzelner Anlagen und Maschinen nur noch eine untergeordnete Rolle – vielmehr geht es um die Sicht auf den gesamten Produktionsprozess inklusive der vor- und nachgeschalteten Schritte. Dazu gehört inzwischen auch der Blick auf das Gebäude, die Arbeitsumgebung oder die Nutzung bestimmter regulatorischer Möglichkeiten und Anwendungen wie Flexibilitätspotenziale von Anlagen als Netzspeicher.

Ein Monitoringbericht hat festgestellt, grössere Unternehmen seien bei den EEN übervertreten. Wie gewinnt man die kleinen und mittelgrossen Unternehmen für die Initiative?

Grosse Unternehmen sehen sich nicht nur aus politischen Gründen in der Pflicht, an der Initiative teilzunehmen – häufig sind ihre Energiekosten relativ zu den Gesamtkosten höher als bei kleinen Unternehmen. Es bietet sich an, Unternehmen branchenübergreifend über das Thema Energieaudit für Netzwerke zu gewinnen. Inzwischen sind viele mittelständische Unternehmen zu solchen regelmässigen Energieeffizienzchecks verpflichtet. Die Netzwerke bieten die Möglichkeit, diese Vorgabe unbürokratisch durch die gemeinsame Beauftragung eines Auditors zu lösen. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer kleiner Unternehmen so schnell für die Netzwerkidee begeistern lassen und vom Austausch mit grossen Unternehmen profitieren.

Die EEN haben sich zum Ziel gesetzt, den Primärenergieverbrauch bis Ende 2020 um 75 Petajoule zu senken und eine Emissionsminderung in der Höhe von fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten zu erzielen. Schaffen sie das?

Die bisher 273 registrierten Netzwerke bei der Deutschen Energie-Agentur haben im Durchschnitt deutlich mehr CO2-Emisssionen eingespart als zu Beginn geplant. Letzte Evaluationen haben ergeben, dass das Ziel der Initiative, fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen, voraussichtlich bis Ende 2020 erreicht wird. Allein die 87 untersuchten Netzwerke sparen jährlich gut eine Million Tonnen CO2 ein. Das ist eine hervorragende Leistung! Industrie und Energiewirtschaft haben damit bewiesen, dass sie den Klimaschutz ernst nehmen und auch jenseits staatlicher Vorgaben aktiv werden.

Schweizer Unternehmen, die bei der EnAW Zielvereinbarungen abschliessen, profitieren von einer Befreiung der CO2-Abgabe. In den EEN ist ein solcher Anreiz nicht gegeben. Was motiviert die teilnehmenden Unternehmen?

Die meisten grossen Energieeinsparmassnahmen sind heute zu komplex, um sie allein zu verstehen und zu heben. Sie benötigen ein Netzwerk von Gleichgesinnten und Spezialisten aus Technik und Wissenschaft, um zügig zu guten Ergebnissen zu kommen. Dazu kommt, in Deutschland werden EEN vielerorts von der Energiebranche mitorganisiert, das heisst, sie haben direkten Zugriff auf Energieinfrastrukturdienstleistungen sowie Beratung und Auditierung. Der praxisnahe Wissenstransfer zu Effizienzprojekten, Einblick in aktuelle Forschungsarbeit und der Austausch zu Massnahmen zum Schutz vor Carbon-Leakage sind häufig gute Gründe für eine Netzwerkteilnahme. Letztlich entwickelt der spielerische Wettbewerb zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Netzwerks eine sehr grosse Dynamik und motiviert zusätzlich, dabeizubleiben.

Wie sehen Sie die Zukunft der EEN?

Die Initiative sollte in jedem Fall verlängert werden. Die bisher knapp 2500 teilnehmenden Unternehmen haben viel erreicht – nicht nur finanziell durch Kosteneinsparungen, auch persönlich durch den fachlichen Austausch. Letztlich beruht die Selbstverpflichtung von Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistung aus Einsparverpflichtungen Deutschlands im Rahmen der europäischen Energieeffizienz-Richtlinie. Dass man bereits 2014 die Wirtschaft in Fragen der Umsetzung einbezogen und auf ein Selbstverpflichtungsmodell gesetzt hat, war ein vorbildliches Angebot der Politik. Die meisten der neu angemeldeten Netzwerke gründeten sich ja erst vor einigen Jahren, so auch unser gemeinsames ETA-Plus-Netzwerk in Darmstadt. Das heisst, es macht absolut Sinn, weiterzuarbeiten. In vielen Fällen sind bisher nur die Low-Hanging-Fruits der möglichen Effizienzmassnahmen umgesetzt. Die komplexen grossen Vorhaben sollten nun in der zweiten Phase ab 2021 angegangen werden.

Dr. Marie-Luise Wolff ist Vorstandsvorsitzende des Darmstädter Energieversorgers Entega AG und präsidiert den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Sie engagiert sich als Botschafterin der Initiative Energieeffizienz-Netzwerke.


Ursprung in der Schweiz

Der Ursprung der Energieeffizienz-Netzwerke in Deutschland liegt in der Schweiz. Im Jahr 2002 exportierte Prof. Eberhard Jochem das Schweizer Modell, um die deutsche Wirtschaft energetisch fit zu machen. Abgeguckt hat er es vom sogenannten Energie-Modell Zürich, das seit 1990 praktiziert und im Jahr 2000 zum Energie-Modell Schweiz weiterentwickelt wurde. Das Energie-Modell Schweiz bildete die Basis für die Arbeit der Energie-Agentur der Wirtschaft, die das Gruppenprinzip seit 2001 fördert: Jeder EnAW-Teilnehmer im Energie-Modell ist Mitglied in einer Energie-Modell-Gruppe. Die Unternehmen schliessen sich je nach Bedürfnis in regionale oder branchenspezifische Gruppen zusammen oder arbeiten gleich als ganzes Unternehmensnetzwerk in einer Gruppe. Aktuell gibt es im Energie-Modell 104 Gruppen, in denen insgesamt 2900 Unternehmen aktiv sind. Diese werden von einem EnAW-Berater oder einer -Beraterin organisiert und moderiert. Der grosse Gruppenvorteil: Die Unternehmen verfolgen gemeinsam ein Ziel, sie spornen sich gegenseitig an und lernen voneinander. Gemeinsam haben sie im Jahr 2019 mit den seit 2013 umgesetzten Massnahmen 594 078 Tonnen CO2 reduziert und über 3343 Gigawattstunden Energie eingespart. Das entspricht bei durchschnittlichen Energiekosten von 10 Rappen pro Kilowattstunde (ohne Ökostrom) 321 Millionen Franken.

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