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«Am Anfang jedes Fortschritts steht die Grundlagenforschung.»

15.12.2021

Vom Klimawandel, neuen Technologien und Lösungsansätzen: Ein Gespräch mit dem Ingenieur und ETH-Professor Lino Guzzella.

Herr Guzzella, der Klimawandel ist eines der komplexesten globalen Probleme, das wir lösen sollten. Welche Konzepte sind Erfolg versprechend?

Auf Ihre Frage gibt es leider keine einfache Antwort. Eine Vielzahl von Handlungen und Veränderungen werden nötig sein, um den Ausstoss von Treibhausgasen spürbar zu reduzieren. Zudem wird sich die Menschheit auch an den Klimawandel anpassen müssen. Wenn es aber ein Leitprinzip gibt, so ist das meiner Meinung nach das Streben nach dem wirtschaftlichen Optimum, denn nur ökonomisch sinnvolle Ansätze werden einen spürbaren Effekt auf das Klima haben.

Sie bezeichneten in den Medien die Erforschung und Entwicklung von klimaschonenden Systemen und Prozessen als den grössten Hebel gegen den Klimawandel. Wie kann Innovation in diesen Bereichen gefördert werden, sodass es rascher vorangeht?

Am Anfang jedes Fortschritts steht die von der Neugier der Menschen getriebene Grundlagenforschung. Diese ist auch hier wichtig, allerdings sind deren Zeitskalen eher ungeeignet, um rasche Lösungen zu finden. Daher sind angewandte Projekte, die das bereits vorhandene Grundlagenwissen nutzen, wichtiger für die Klimafrage. Das Skalieren einer Laboridee zu einem Pilotprojekt und schliesslich zu einer Grossanlage ist eine spannende Ingenieuraufgabe. Hier gibt es zwar Förderinstrumente, aber diese könnten ausgebaut werden. Zentral dabei ist, dass der Ausstoss an Treibhausgasen einen Preis bekommt und dass ein Teil dieser Mittel für die Entwicklung klimaschonender Anlagen eingesetzt wird. Zudem müssen auch die Rahmenbedingungen wie Bewilligungsverfahren, Auflagen, Steuergesetze usw. stimmen.

Die Aufgabe ist gewaltig, aber die Menschheit hat die Fähigkeiten, diese Probleme anzugehen.

Lino Guzzella, Ingenieur und ordentlicher Professor für Thermotronik an der ETH Zürich

Die Schweiz hätte alle Ressourcen, um eine Vorreiterrolle einzunehmen. Warum sind wir bei den neuen Technologien, die den Einsatz fossiler Brennstoffe überflüssig machen, nicht weiter?

Meiner Meinung nach war und ist die Schweiz eine Vorreiterin und ein Kreativitätshort in Sachen umweltschonender Systeme. Das war bereits in den frühen Phasen der Industrialisierung der Fall, wo Schweizer Ingenieure und Unternehmer grosse Beiträge leisteten. Und das ist auch heute noch der Fall. Wenn ich zwei konkrete Beispiele von Spinoffs der ETH nennen darf, dann wären das Climeworks mit deren «direct air capture»-Technologie und die Synhelion mit deren Technologie zur Herstellung von CO2-neutralen Treibstoffen, basierend auf Solarwärme bei sehr hoher Temperatur.

Sehen Sie Bereiche, in denen die klimawandelrelevante Forschung in der Schweiz vernachlässigt worden ist? Was wäre dagegen zu tun?

Man kann nie zu viel Forschen und Entwickeln. In diesem Sinne plädiere ich dafür, dass sich von der ETH bis hin zur Berufsschule Menschen dieser faszinierenden Thematik widmen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich Mittel in Lösungsansätze investieren, die es erlauben, grosse Mengen an Energie – mehrere Terawattstunden – über längere Zeit – mehrere Monate bis Jahre – zu speichern. Besonders der Ausbau der Fotovoltaik wird bei uns dazu führen, dass im Sommer zu viel und im Winter zu wenig elektrische Energie vorhanden ist. Dies auszugleichen und eine stabile Grundlastversorgung sicherzustellen, ist wohl die wichtigste offene Frage in diesem Zusammenhang.

Neue Technologien müssen den Weg in die Wirtschaft finden, damit sie ihre Wirkung entfalten. Wie weit ist der Weg von Ihrer Forschung in die Praxis? Und wie steht es um die Forschungszusammenarbeit mit der Industrie?

Auch hierzu habe ich einen recht positiven Eindruck. Die Hochschulen haben sich in den letzten 20 Jahren stark gegenüber der Industrie geöffnet; mit den Fachhochschulen wurden ausgezeichnete Strukturen genau an dieser Schnittstelle geschaffen und auch der Bund hat massive Mittel investiert – denken Sie an die Spezialprogramme des Nationalfonds und vor allem an die Innosuisse. Wichtig wird es in Zukunft sein, auch die Start-up-Szene verstärkt für Umweltthemen zu gewinnen. Das ist nicht ganz einfach, weil die in diesem Bereich nötigen Investitionen in der Regel sehr viel grösser sind als beispielsweise bei einem digitalen Produkt.

Die EnAW arbeitet konkret mit den Unternehmen an der Dekarbonisierung industrieller Prozesse. Wäre es sinnvoll, Ihre Forschung mit Know-how der EnAW zu verbinden?

Ich hoffe sehr, dass bereits jetzt ein Austausch zwischen der EnAW, der Industrie und der Akademie stattfindet. Wenn das noch nicht genügend der Fall ist, dann wäre dies ein sinnvolles Anliegen, das es zu fördern gilt.

Wird die Schweiz das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen?

Die Frage ist wichtig, aber noch wichtiger ist die Frage, ob die Welt dieses Ziel erreichen wird. Die Klimaveränderung ist ein globales Problem und nur wenn die gesamten 55 Gigatonnen an Treibhausgasen, die pro Jahr ausgestossen werden, reduziert werden, können wir die negativen Folgen des Klimawandels mildern. Dabei gilt es, wohlüberlegt und sowohl technisch als auch ökonomisch bestmöglich vorzugehen. Die Aufgabe ist gewaltig, aber die Menschheit hat die Fähigkeiten, diese Probleme anzugehen.


Lino Guzzella ist Ingenieur und ordentlicher Professor für Thermotronik an der ETH Zürich. Der ehemalige Rektor und Präsident der ETH Zürich konzentriert sich in seiner Forschung auf neue Ansätze in der Systemdynamik und in der Regelung von Energiewandlungssystemen.

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